SLOWDOWN TAGEBUCH

Bonus: Ostern 2021

Wer an Ostern allein ist, kommt sich vor wie ein verlorenes Ei.

Zero

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Countdown 1, 2. April 2021

Ich bin kommunikationsscheu geworden. Was ich? Ausgerechnet ich, der zur jeder Situation seinen passenden oder unpassenden Kommentar abgeben musste.

Das Problem, ich erlebe keine passenden oder unpassenden Situationen mehr, oder höchstens mit mir selber, wobei die unpassenden eher überhand nehmen. Aber das interessiert eigentlich niemanden. Ich habe selten über mich selber kommuniziert, vielmehr über das, was ich erlebt habe oder erlebt haben wollte. Kleine Inspirationen weckten in mir Fantasien und Geschichten. Geschichten, die ich gerne weitererzählt habe. Oft etwas ausgeschmückt oder, je nach Zuhörer oder Zuhörerin, etwas anders.

Das Leben kommt mir vor wie ein grosser Jahrmarkt. Die Bahnen wurden immer spektakulärer und mit mehr bunten Neonlichtern zur Schau gestellt. Leider sind diese Bahnen seit 12 Monaten ausser Betrieb. Abgedeckt mit grossen Plachen und die Zugänge mit Brettern vernagelt. Ratten bevölkern die Bahnen und ernähren sich an den Resten des Popcorns. Den bunten Luftballonen ist die Luft ausgegangen und der Rotor der Zuckerwattenmaschine ist verklebt und eingerostet.

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Countdown 2, 1. April 2021

Eigentlich wollte ich heute einen Aprilscherz platzieren. Aber abends nach 20 Uhr ist es einfach zu spät – das ist dann wie die alte Fasnacht, und die hat ja dieses Jahr auch nicht stattgefunden ...

Und einen wirklichen Hammer beim zweitletzten Countdown gelingt mir auch nicht. Dazu bin ich einfach handwerklich zu unbegabt. Gestern habe ich endlich mein Schuhgestell erhalten, von dem ich meinte, es sei beim Transport im Suezkanal stecken geblieben. Für jeden halbwegs Begabten, wäre es eine Kleinigkeit gewesen, dieses Regal zusammenzustecken. Ich habe den grossen Fehler gemacht, dass ich den Zusammenbau, infolge des schönen Wetters, auf meine Terrasse verlegte. Am Schluss staunte ich, dass die Polizei das Strässchen nicht abgesperrt hat ... meine lauten Flüche sind wesentlich ausgereifter (und werden auch öfters trainiert) als meine Handhabung mit Stangen verschiedenster Länge und Verbindungselementen, die man auf drei Arten falsch einsetzen kann.
Die Hundehalter haben ihre Lieblinge an die Leine genommen, die Grosseltern ihren Enkelkindern die Ohren zugehalten und die mir gutgesinnten Nachbarn haben mich besorgt gefragt, ob etwas nicht in Ordnung sei? Nun gut, die mussten die Montageanweisung auch nicht interpretieren ...
Am Schluss stand dieses Gestell tatsächlich und ich weiss einen Tag später immer noch nicht, wo das vorige Tablar hingehört. Vorher hatte ich ein Problem mit den Schuhen, ich wusste nicht wohin mit diesen, und jetzt habe ich ein Problem mit einem Tablar. Aber eben, das sind die kleinen Probleme (immerhin 30 x 120 cm) und die müssen weder national noch kantonal gelöst werden. Einfach ganz privat und möglichst so, dass man seine Umgebung nicht stört.

Countdown 3, 31. März 2021

Ältere Leute kennen das beim Zusammenfalten einer Landkarte – jüngere wissen nicht einmal mehr, was eine Landkarte ist. Soviel soll einfach gesagt werden: ohne Landkarten gäbe es keine Navis und ein Navi kann man nicht zusammenfalten. Aber eigentlich weiche ich vom Thema ab.

Das was uns früher mit den Landkarten passierte, geschieht heute mit den Beipackzetteln bei Medikamenten. Ist es Ihnen je gelungen einen Beipackzettel wieder so zusammenzufalten, dass er problemlos, neben die Tabletten in die Packung gepasst hätte? Es gibt viele Gründe einen Beipackzettel nicht zu lesen (denken wir alleine an die Erwähnung der vielen möglichen Nebenwirkungen, von Hautrötung über Atembeschwerden bis zu Halluzinationen), der Hauptgrund ist jedoch die Unfähigkeit, diesen Zettel wieder in die Originalfaltung zu bringen.

Weltweit werden Wettbewerbe veranstaltet, wer in kürzester Zeit einen Rubik-(Zauber)-Würfel wieder in den Originalzustand (jede Seite eine Farbe) bringen kann. Momentan findet man auf youtube einen chinesischen Buben, der gleichzeitig drei Würfel unter einer Minute richten kann. Einen Würfel mit der linken, einen mit der rechten Hand und der dritte Würfel mit seinen Füssen. Chapeau! Ob er auch fähig wäre, einen Beipackzettel richtig zu falten, wage ich jedoch zu bezweifeln. Aber vielleicht gibt es in der chinesischen Medizin gar keine Beipackzettel.

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KEINE Anmerkung der Redaktion:

Countdown 4, 30. März 2021

Heute, bei unserem obligaten Gartenzaungespräch, zudem sich nun auch mein Nachbar, zwecks erster Zigarette, gesellt hat, beklagte ich mein Alter, welches ich jetzt auch durch mein Tun manifestiere. Mein Arzt hat mir gestern so ein Theraband gegeben und mir gezeigt, mit welchen Übungen ich die verspannte Schulter wieder frei kriege. Obwohl auf der Gebrauchsanweisung die abgebildeten Personen wesentlich jünger aussehen, weiss ich, dass dieses Gummiband eigentlich nur für alte Semester gedacht ist.
Ich habe heute Morgen diese Übung gemacht und kam mir ziemlich blöd vor. Das Band musste ich vorher halbieren und fragte darum Peter, ob er die zweite Hälfte haben wolle?
Er hätte zuhause auch so ein Band, benutze es aber fast nie, obwohl ihm die Physio dringend dazu geraten hat. Auch Florian im Oberhaus besitzt offenbar so ein Band, nur weiss er nicht, wo es gerade verstaut ist, weil er es auch nicht braucht. Das zeichnet, glaube ich, uns alte 68er aus: der stille Protest, etwas nicht zu machen. Aus den teilweise lauten Protestlern sind stille Verweigerer geworden.
Ich ziehe das mit dem Band jetzt durch! So, wie das Abnehmen und das regelmässige Üben mit den Jonglierbällen (wo sind die eigentlich?). Vielleicht trete ich auch einer Theraband-Selbsterfahrungsgruppe bei und lasse mich durch eine diplomierte Theraband-Selbsterfahrungsgruppenleiterin motivieren.
Ich stelle mir das so vor, wie wir zirka 12 ältere Menschen uns per Zoom zugucken, wenn wir zu Begleitmusik von Status Quo (das sind die Comedian Harmonists der Revoluzzer) den Rumpf beugen oder versuchen die Hände hinter dem Rücken zu berühren, während der eine Arm über die Schulter zum Rücken geführt wird.
Wenn Sie mich also nach Corona mal besuchen, werden Sie in meiner Wohnung überall so kleine gelbe Post-it-Zettlelchen vorfinden mit Texten wie: «Gut gemacht Peter!», «In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist», «Dran bleiben!!» und «Du bist der Grösste!», obwohl ich in den letzten Jahren gut 3 cm kleiner geworden bin. Das einzige was bei uns Älteren noch wächst sind die Ohren und die Füsse (und das Schamgefühl bei Übungen mit dem Theraband).

Countdown 5, 28./29. März 2021

Ich weiss, gestern war auch ein Tag. Für mich aber einer zum Vergessen – was ich dann tatsächlich auch gemacht habe ... oder kurzum: «kä Luscht gha».

Es ist jetzt nicht so, dass ich heute besonders Lust hätte, aber schliesslich haben sie das 400-Meter-Containerschiff auch wieder bewegt und wenn dort alle gesagt hätten «kä Luscht», wäre die Thrombose im Suezkanal zu einem Wirtschaftsinfarkt ausgeartet.

Es wäre jetzt einfach interessant zu wissen, was in diesen Containern geladen ist? Vielleicht hat ja der Stau eine kriegerische Handlung verhindert, oder zumindest verzögert, weil die als humanitäre Hilfe deklarierten Kanonen oder Raketenabschussrampen nicht rechtzeitig geliefert werden können. Oder vielleicht sind es auch in Kinderarbeit gemalte Ostereier – “aus der Region für die Region“, nur von und für welche Region? – und irgendein Grossverteiler in Europa kann jetzt die Eier selber suchen gehen. Vielleicht war in einem Container auch dieses praktische Schuhgestell von “SoDeal“ untergebracht, auf das ich seit über drei Wochen warte. Das BAG wartet eventuell auf die Selbsttests, die nun eben auch verspätet, wenn überhaupt, ankommen.
Es sind zigtausend Dinge und wenn in Zukunft an einem Gerät, einer Maschine oder einem Welkzeug etwas nicht wunschgemäss funktioniert, sagt dein Händler, dass eben genau dieses fehlende Teil irgendwo zwischen Suez und Port Said auf mysteriöse Art verschwunden sei.

Vielleicht war in einem von diesen über 20’000 Containern auch eine Ladung voller Hoffnung, auf die wir jetzt eben auch noch warten müssen. Ich denke, es wäre in Zukunft besser, Hoffnung in kleineren Portionen und nicht auf dem Seeweg zu transportieren.

Countdown 6, 27. März 2021

Jetzt sind sie wieder da – nein, nicht die Viren (das wissen wir ja) und auch nicht die Pollen (das spüren wir ja in der Nase und den Augen) – diese lästigen Fliegen.
Nachdem ich bei Ameisen eine gewisse Nachsicht pflegte – das hat sich aber in der Zwischenzeit auch erledigt, eher zum Nachteil der Sechsbeiner, sorry –, kenne ich bei Fliegen absolut kein Pardon.
Ich habe mir gestern, bei schönstem Sonnenschein und frühlingshaften Temperaturen, wieder einmal erlaubt, die Wohnung so richtig durchzulüften: Nicht eine Stosslüftung von 5 Minuten sondern mehrere offenen Fenster während gut 1,5 Stunden. Die unbeabsichtigte Einladung wurde gerne angenommen. Kaum lag ich im Bett, hatte ich ein unangenehmes Surren am Ohr. Was heisst hier unangenehm: es war verdammt störend und Menschenschlaf verachtend.
Im Gegensatz zur Schweizer Flugwaffe, die nur während den offiziellen Bürostunden einsatzbereit ist, kennen die Fliegen keine Regeln. Sie verteidigen nicht einmal etwas, sie greifen nur an und zwar die Nerven der mietezahlenden Wohnungsbenutzer. Im letzten Jahr hatte ich auf die Wohnung verteilt drei bis vier Fliegenschläger herumliegen. Aber wo sind die jetzt? Man hat die ja irgendwo versorgt ... aber wo?
Der Kampf begann (ich schreibe hier absichtlich nicht “Mein Kampf“, könnte ja falsch verstanden werden). Statt mit einer Fliegenklatsche bewaffnete ich mich mit Dürrenmatts Taschenbuch “Das Versprechen“, das seit einiger langer Zeit ungelesen auf dem Nachttisch liegt. Jetzt hat es immerhin seinen Zweck erfüllt. Das Bild auf dem Cover wird jetzt mit zwei toten Fliegen ergänzt.
Es war aber nur ein Teilsieg. Am Morgen wurde ich wiederum durch so ein Surresurium geweckt. Warum haben es diese Viecher auf meine Ohren abgesehen?
So, jetzt bin ich meinen Frust los – aber sicher nicht die Fliegen. Ich habe jetzt aber gut 18 Stunden Zeit die Fliegenklatschen zu suchen und strategisch schlau zu platzieren.

Countdown 7, 26. März 2021

Wo ist die heutige Geschichte? Am gleichen Ort, wo die Impfdosen sind. Sie wurde nicht geliefert oder sie steckt irgendwo im Suezkanal fest. Nein, selbstverständlich nicht. Ich bekam von Sepp ein weisses Couvert, damit ich sie nicht erzähle.

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Anmerkung der Redaktion: Ein Virus hat uns befallen ... wir bitten um Entschuldigung für die verspätete Aufschaltung des heutigen Beitrages ...

Countdown 8, 25. März 2021

Letzten Sonntag bin ich im Schweizer Fernsehen bei der hervorragend gemachten Doksendung «Die Superkolonie – Waldameisen ganz gross» hängen geblieben. Das war absolut faszinierend und ich habe einen Riesenrespekt von diesen zigmillionen kleinen Insekten erhalten. Respekt und Faszination ja, Achtung nicht unbedingt. Die funktionieren genau wie wir Menschen: auf “Teufel komm raus“ die eigenen Staatsgebiete verteidigen und vergrössern und schwächere Völker sich zu Untertanen machen. Kriege im grösseren und kleineren Stil führen, ohne Rücksicht auf eigene Verluste ... Es gibt eine *wissenschaftliche Aussage, die besagt, dass das Gesamtgewicht der Ameisen auf unserem Erdball das Gesamtgewicht der Menschen übertreffe (was ich nicht ganz glaube, wenn ich selber auf die Waage stehe!).
* Ulrich Schuster, Botaniker Deutschland

Andererseits habe ich seit gestern eine kleine Ameisenstrasse in meiner Wohnung, wie eigentlich jedes Frühjahr. Sie führt vom Balkonfenster hinter die Küchenabdeckung oder umgekehrt. Soll ich die jetzt einfach, aus Rücksicht zur Natur, gewähren lassen? Irgendeinmal landen sie in meinem Bett oder auf meinem Teller, nicht gegrillt, sondern als Mitesser. Absaugen mit dem Staubsauger bringt nichts und eine Ameisenfalle aufstellen, wo diese menschenähnlich funktionierenden Kleinstwesen elendlich verrecken, widerstrebt mir irgendwie. Soll ich in einer Nacht-und-Nebelaktion einen Ameisenbären aus dem Zoo entführen oder soll ich in meiner Wohnung eine Ameisenbahn, quaisi als ÖV für Hausameisen bauen?

Countdown 9, 24. März 2021

Die digitale administrative Kommunikation der Schweizer Regierung und der Kantone mit der Bevölkerung, bezüglich Test- und Impfstrategie:

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Ganz nach dem Motto: «Wir beobachten und integrieren laufend neue wissenschaftliche Erkenntnisse». Der meistgelesene Satz der Behörden in Online- und Printmedien

Countdown 10, 23. März 2021

Ich habe sie nicht gern, die atypischen Symptome. Ich mag auch die typischen nicht und schon gar nicht die gar keinen Symptome. Das beziehe ich jetzt nicht speziell auf Corona, das beziehe ich jetzt auf alle möglichen Krankheiten, die einen Hypochonder wie mich täglich, oder hauptsächlich nächtlich begleiten. Das Internet ist voll von Fachmeinungen, Erfahrungsberichten und Empfehlungen. Das ist ein sogenannter Superspreader. Wenn man etwas noch nicht hat, hat man es nach dem Surfen garantiert. Denn irgendjemand, meistens bei den Erfahrungsberichten oder bei den Selbsthilfegruppen, hat genau die gleichen typischen oder atypischen oder eben auch die symptomfreien Symptome. Und man hat zurzeit soviel Zeit, sich damit abzugeben. Die Schlimmsten sind die Spezialkliniken, die dir sagen, was es auch noch sein könnte ...

Es gibt ja auch die Möglichkeit, nicht ins Internet zu gehen. Das ist ungefähr gleich wahrscheinlich, wie einem schmackhaften Schoggiosterhasen die Ohren nicht abzubeissen.

Countdown 11, 22. März 2021

Was ich nicht begreife, ist, dass bei Veganern, die anscheinend so vorbildlich gesund leben, in der Küche immer noch Dosen mit Nahrungsergänzungsmitteln rumstehen. Also so ganz gesund kann die rein vegane Ernährung nicht sein.
Aber ich merke gerade, dass ich mich da über ein Thema auslasse, von dem ich keine Ahnung habe. Eigentlich habe ich von gar nichts eine Ahnung und gebe trotzdem jeden Tag meinen Senf dazu:
Apropos Senf; je nach Wurstsorte passt der eine oder andere Senf besser.

Countdown 12, 21. März 2021

Gestern fragten mich Vreni & Florian, meine Nachbarn, ob ich Lust hätte, zu ihnen zum Nachtessen zu kommen. Es würde Lamm und einen Gratin geben. Ich nahm die Einladung gerne an, weil zurzeit die Pandemiemassnahmen meine Psyche kratzen. So nebenbei fragte er, ob ich Lamm möge? Eigentlich ja, antwortete ich, wenn es nicht zu fest schäfelet. Ob ich lieber Fleischkäse aus dem Ofen hätte? Offenbar strahlte ich ob dieser Frage wie eine Glühbirne. Denn eigentlich hätten sie vorgehabt, Fleischkäse zu backen, dann aber gedacht, man kann ja nicht jemanden einladen und “nur“ Fleischkäse servieren.

Es gab Fleischkäse, Pommes rissolées, gedünsteter Kohlrabi und zum Kafi Shoggieili. Es war ein wunderbarer Abend. Ich fühlte mich so ganz normal und so ganz zuhause. Und sich ganz “normal“ zu fühlen, ist momentan ein grosses Geschenk. Vielleicht ist das jetzt zu sentimental aber ich erlaube mir, bei Fleischkäse und unkomplizierten Freunden sentimental zu werden.

Auf jeden Fall habe ich nachher wunderbar geschlafen.

Countdown 13, 20. März 2021

Das war bei mir eigentlich immer schon so. Ich habe es zuerst gemacht und dann geschaut, wie man es macht.

Dieses Verhalten zieht sich in meinem Leben durch wie ein roter Faden. Beim ersten Velosolex, den ich repariert habe, sind nach der Reparatur 6 Teile übrig geblieben. Der Solex, der vorher stotterte, lief gar nicht mehr.
Ich habe mich mit 17 Jahren als Barman in einem Hotel in den Flumserbergen beworben und die Stelle bekommen. Die Bar war erst für Gäste ab 18 Jahren zugelassen und ich den Job am gleichen Abend wieder los.
Ich habe mir eine Posaune gekauft und dann versucht darauf zu spielen – schlussendlich durfte ich bei einer Guggenmusik zweite Stimme spielen, wobei ich den Unterschied zwischen der ersten und der zweiten Stimme sowieso nie begriff. Einmal habe ich eine Versicherung bei zwei Versicherungsgesellschaften unterschrieben. 3 Jahre später und paar hundert Franken Prämien ärmer, hatte ich einen Schadenfall. Keine der Versicherungen hat bezahlt, da ich ja bei der anderen versichert war.
Mit 58 Jahren habe ich geheiratet ohne vorher die Gebrauchsanweisung zu lesen.

Improvisieren ist ein ganz besonderes Talent. Hauptsächlich dann, wenn man sich vorher nicht schlau gemacht hat.

Countdown 14, 19. März 2021

Diese verdammten Abende. Zuerst versteckt sich die Sonne hinter dem Ueetliberg und dann hinter der Schweiz. Mit der Dämmerung kommt auch die Melancholie in die eigenen vier Wände. Tagsüber kann ich noch pseudogeschäftliche Anrufe führen oder mich kurz im Zentrum Witikon zeigen, wo ich vielleicht ja jemanden treffe, der sich auch kurz zeigen will. Nach sieben Uhr ist Sendschluss, kein Feierabendbier (gut, ich trinke kein Bier, aber man sagt dem so), kein Altersfussball auf der Lengg, keine Guggenprobe und auch kein Hundespaziergang. Und dann steigt noch das Internet aus. Also Melancholie plus WLANcholie.
Arsch aufs Sofa, vielleicht ein Buch in die Hand, welches ich aber auch lieber bei Tageslicht anschaue oder lese, Kiste an und Füsse hochlagern. Die Alterswehwehchen, die man tagsüber verdrängt, melden sich zurück und die Geschichte, die man schreiben will, ist auch schon geschrieben.
Ausser heute. Eine Geschichte über Melancholie will ich nicht schreiben. Da wird man ja melancholisch.

Countdown 15, 18. März 2021

Das ist etwas, was später in den Chroniken oder in den Jahrbüchern 2020/2021 fehlen wird: Die beliebten Klassen-, Gruppen- und Vereinsbilder. Jede Musikharmonie, jeder Jodlerchor, jede Amateur-Fussballmannschaft, jede Damenriege, jedes Büroteam beim jährlichen Ausflug auf die Rigi, jede Rekrutenschul-Kompanie, jede Hobby-Kochgruppe etc. etc. stellt sich gerne in Pose und lässt sich ablichten. Das sind wunderschöne Erinnerungen.

Wegen Corona gibt es keine Gruppenanlässe und dementsprechend auch keine Fotos mehr. Das erachte ich als einen grossen Kulturverlust. Heute macht man bestenfalls noch Selfies. Das ist auch typisch für unsere Mentalität: sich selber in Szene setzen ist angesagter als Teil einer Gemeinschaft zu sein. Sogar der Bundesrat lässt sich einzeln fotografieren und dann im Photoshop zu einer Gruppe vor künstlicher Kulisse hinstellen.

Ich war/bin über 40 Jahre in einer Guggenmusik und in einem Fussballclub. Über all die Jahre haben wir immer Gruppenfotos oder Mannschaftsbilder gemacht. Sie waren jedes Mal anders und trotzdem immer gleich. Es scheint so einen Automatismus zu geben, wo man sich in der Gruppe hinstellt oder –setzt. Es gibt die ewigen Randfiguren und die, die sich immer in der Mitte platzieren ... wie eben im Leben.

Im gezeigten Beispiel aus der Sammlung von Fritz Franz Vogel (Buch: soooooooooooooo viele!) hat dieser Mechanismus nicht geklappt. Es gibt eben auch Ausnahmen. Und hoffentlich auch bald wieder Gruppenbilder.

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Countdown 16, 17. März 2021

Keine Geschichte ist auch eine Geschichte. Es ist die Geschichte von einem, der keine Geschichten mehr zu erzählen hat. Früher hatte er viele Geschichten erlebt und diese weitererzählt, egal, ob es jemanden interessiert hat oder nicht. So wie er selber Geschichten erzählt hat, wurden auch ihm Geschichten erzählt, egal, ob wahr oder unwahr. Es waren Geschichten, die er dann auch wiederum anderen weitererzählte. Manchmal konnte er nicht mehr unterscheiden, ob er jetzt diese Geschichte selber erlebt, oder ob er sie nur gehört oder gelesen hat. Aus der Summe dieser Geschichten wurde seine Fantasie so angeregt, dass er selber Geschichten erfand und, wenn er sie zwei/drei Mal erzählt hat, wurden sie auf einmal wahr und gehörten in sein Repertoire. Zu fast jedem Stichwort wusste er eine kleinere oder grössere Anekdote zu erzählen und manchmal dachte er sogar, daraus könnte man jetzt einen Film machen.

Jetzt sind ihm langsam die Briketts ausgegangen und die anderen Geschichtenerzähler trifft er nicht mehr. Wenn nicht bald ein heftiger Windstoss das Feuer wieder entfacht, erlöschen die Geschichten ... gäbe es da nicht den Phönix.

Countdown 17, 16. März 2021

Gestern Nachmittag wurde in der Stadt Bern von der Bevölkerung ein leichtes Erdbeben wahrgenommen. Laut dem Erdbebendienst um 14.27 Uhr. Auf der nach oben offenen Richterskala 3,3. Ich denke, es war Frau Magdalena Martullo-Blocher am Rednerpult. Aber vielleicht ist es auch ein purer Zufall, dass seit 2015 wieder vermehrt Erdstösse in der Region ums Bundeshaus registriert werden.

Countdown 18, 15. März 2021

*Ich war zirka 5 Jahre alt, als ich von einem Tag auf den andern aufhörte zu sprechen. Ich nickte nur noch mit dem Kopf oder schüttelte diesen. Meine Eltern genossen zuerst die Ruhe, machten sich aber nach kurzer Zeit Sorgen und gingen mit mir zur Kinderärztin. Diese untersuchte mich nicht einmal, sondern fragte ganz einfach, wieso ich nicht mehr spreche? Ich zog ein zerknülltes Papier aus der Hosentasche und zeigte ihr ein Foto. Das Papier war eine Seite aus der „SIE+ER“, einer Zeitschrift, die bei uns zuhause rumlag. Auf dem Foto war ein Mann mit einem total einbandagierten Kopf. Ich fragte meinen Vater, warum dieser Kopf so eingebunden ist?
Mein Vater packte die Chance, weil ich muss ein fruchtbarer Schnurri gewesen sein, mir zu erklären, dass der liebe Gott jedem Menschen so und so viele Worte ins Leben mitgeben hat und, wenn man die aufgebraucht hat, könne man nicht mehr reden oder müsse eine komplizierte Operation über sich ergehen lassen. Und dieser Mensch, der hier abgebildet war, sei jetzt eben so einer, der zuviel geschwafelt habe. Ich hatte furchtbare Angst – erwachsene Leute können sich vielfach gar nicht vorstellen, was sie mit einer nicht ernstgemeinten Notlüge bei Kindern auslösen können – und entschloss mich, ab sofort nicht mehr zu reden.

Der Gründer des Kulturzeitschrift DU, Arnold Kübler, nahm sich die Freiheit, jede Woche einen Tag – ich meine, es sei der Donnerstag gewesen – nicht zu sprechen. Nicht auf der Strasse, nicht in seinen Redaktionsräumen, nicht am Telefon und auch nicht in der Malatesta, wo er regelmässiger Gast war. Zu dieser Zeit gab es weder Handys, SMS, E-Mails, Facebook oder Telefax.

Und irgendwie ist es erholsam, manchmal eine Zeitlang nicht zu reden. Während dieser Pandemie fehlen mir manchmal die Wortwechsel und dann denke ich an meinen Vater zurück, der eben vielleicht trotzdem auf eine gewisse Art Recht hatte.

* An diese Geschichte mag ich mich selber nicht erinnern. Meine Mutter hat sie mir später einmal erzählt.

Countdown 19, irgendwann im tiefen Winter

Heute ist wieder so ein typischer Novembertag. Die Schneeflocken werden von Minute zu Minute grösser und häufiger. Ein eisiger Wind pfeift einem um die Ohren und die Vögel, die zu faul waren in den Süden abzuhauen, zwitschern “Oh du frostige“. Eigentlich hätte ich heute Zeit einen Adventskranz zu basteln oder Wiehnachtsguetzli zu backen. Ich habe aber weder für das eine noch das andere Zutaten gekauft. Vielleicht zünde ich mir einfach eine Kerze an und suche im Büchergestell ein schönes Buch mit Weihnachtsgeschichten oder den 50-Jahre-Sammelband des Playboys. Da hat es auf dem Titelblatt auch eine Samichläusin mit roter Zipfelmütze. Aber zuerst trinke ich jetzt einen Tee und streiche mir ein Butterbrot.

Aber was soll das? Im Kühlschrank steht ein Schoggiosterhase mit abgebrochenen Ohren. Hat sich der jetzt schon längere Zeit versteckt oder muss ich erst richtig aufwachen, damit ich merke, dass es bereits Frühling ist (sein sollte!) ...

... Jetzt bin ich aber beruhigt, dass der ganze Wiehnachtsgschänklistress nicht auf mich zukommt – aber was schenke ich meinem Enkelkind zu Ostern? Mit dem angebissenen Osterhasen kann ich wohl keinen Sechser landen?

Countdown 20, 13. März 2021

Mein Honda ist jetzt über 20 Jahre alt. Ich habe ihn vor gut drei Jahren für 2400 Franken gekauft und inzwischen nochmals ungefähr den gleichen Betrag für Reparaturen (Aufhängung hinten links und irgend etwas an der Kupplung) investiert. Er läuft wie ein Örgeli und säuft knapp 6,5 Liter Benzin. Er hat keine Navi, keine Sitzheizung, kann nicht autonom einparkieren und das Licht löscht nicht automatisch, wenn man aussteigt. Auch kann ich ihn nicht per Fernbedienung öffnen oder schliessen oder gar vorheizen. Es ist einfach ein Auto mit 5 Türen und 5 Gängen.

Diese Woche war ich eben mit diesem Auto in der Westschweiz, um meine Schwester zu besuchen. Als ich am Donnerstag Abend bei Regen und Wind wieder aus dem Garagenplatz meiner Schwester losfuhr, passte ich nicht richtig auf, und berührte für mich kaum merkbar das Fahrzeug neben mir. Es gehört dem Erfinder der Nespressokapsel, der aber inzwischen mit Nestlé im Clinch ist. Ich weiss jetzt nicht, ob ich ihn deswegen sympathisch finden soll oder eben nicht. Kurzum; sein Auto war ein Tesla. Wenn man ganz genau, aber ganz genau hinschaut, sieht man, dass ich ihn am hinteren Kotflügel leicht touchiert habe. Das Ganze zu flicken kostet ca. 5000 Franken, gleichviel wie mein Auto die letzten drei Jahre zusammen ... und warum heisst es eigentlich Kotflügel und Stossstange, nicht Edelabdeckung und Zierleiste? – Und seine verdammten Alukapseln tragen ja auch einen Schaden davon, wenn man sie benutzt. Soll ich da jetzt jedes Mal Schadenersatz verlagen?

Countdown 21, 12. März 2021

Dreimonats-Prognose:

Im März, im März
Gahts mit em Impfe nöd vowärts

Im April, im April
Macht jede Kanton, was er will

Im Mai, im Mai
Bliibt mer besser wieder dehei

Countdown 22. 11. März 2021

Auch in der Westschweiz – ich weile zur Zeit in Cully am Genfersee – öffnen die Läden wieder langsam.

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Countdown 23, 10. März 2021

«Ich schau dir in die Augen, Kleines!»

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höchstwahrscheinlich ein Harald Nägeli, entdeckt am 9. März 2021

Countdown 24, 9. März 2021

Warum haben wir Hunde so gern? Weil sie nicht kreativ sind. Sie sind treu, vielfach folgsam und sie lernen schnell. Sie lernen genau das, was wir wollen. Sei es als Lawinenhund, als Blindenhund als Trüffelhund als Jagdhund oder als Schosshund. Sie wollen uns gefallen und werden dementsprechend belohnt oder leider auch bestraft. Sie machen das, was wir nicht können. Sie sind eine Ergänzung unseres Ichs: «Jö, isch das en herzige Hund!» beziehen wir automatisch auf uns, denn der Hund ist ein Accessoires, welches wir in unser Umfeld integrieren. Der Polizist mit einem scharfen Polizeihund, die abgetakelte Lady mit einem in einem Designer-Wintermäntelchen eingepackten Dackel und der Alt68er mit einem Strassenköter mit der Frisur von Bob Marley.

Ich weiss, wovon ich spreche. 10 Jahre lang wurde mir dank unseres Hundes «Marroni» viel Sympathie entgegengebracht. Die Leute dachten sogar, dass er sich diesen Namen selber gegeben habe und dadurch so etwas wie ein kreativer Hund gewesen sei. War er absolut nicht, er war ziemlich dumm (Barbara nannte das phylosophisch), faul und gefrässig. Ihm wäre es mit dem Name Rex oder Bello ebenso wohl gewesen. Aber sein Besitzer meinte, er müsse ihm einen kreativen Namen geben, denn auch sein Hund war ein Teil seiner selbst oder zumindest das, was er gerne wäre.

Kreativität ist nichts anderes als eine Flucht aus der Angepasstheit und eine Entschuldigung für alles, was man sonst nicht erfüllen kann oder will.

Countdown 25, 8. März 2021

Jedes Mal, wenn er mich mit seinem perfiden Aufschlag überraschte, freute er sich, den Punkt zu machen. Und er machte ihn eigentlich immer. Wir haben ungefähr 15 Mal gegeneinander Tischtennis gespielt und er war einfach besser. Ich mag mich nicht erinnern, einmal gegen ihn gewonnen zu haben. Heute habe ich erfahren, dass er nie mehr gegen mich gewinnen wird und das macht mich unsäglich traurig.

Countdown 26, 7. März 2021

Darf man das Wasser, das man am Morgen braucht, um sein Dreieinhalb-Minuten-Ei zu kochen, anschliessend zum Teeaufgiessen verwenden? Wenn man alleine in der Wohnung herumtümpelt sicher, aber wenn man einmal Gäste hat? Nach Knigge nimmt der Gentleman, auch wenn er alleine am Tisch sitzt, den Zuckerwürfel mit der Zange ... Führt der Lockdown und die soziale Isolation zur Verrohung der Anstandsitten oder normalisiert sich unser übertriebenes Gehabe wieder in vernünftige Bahnen?

Ich glaube, man kann darüber nicht diskutieren, jeder und jede soll es so machen, wie es ihm/ihr behagt. Der Anstand ist Charaktersache und auch ein hemdsärmliger Charakter kann durchaus sympathisch sein.

Das Ei auf jeden Fall hat geschmeckt (köpfen Sie das Ei mit einem gezielten Schlag oder klopfen Sie es mit dem Löffelchen sorgfältig auf?) und der Tee hat überhaupt nicht geeiert.

Countdown 27, 6. März 2021

Haben Sie in der Zeitung oder im TV gesehen wie die Regierungsrätin Natalie Rickli dem Herr Bundesrat Berset eine Hygienemaske mit dem Züriwappen drauf geschenkt hat? Eigentlich passend; die Diagonale zeigt klar nach unten und symbolisiert die Effizienz der Zürcher Gesundheitspolitik. Zum Glück hat Alain Berset jedoch auch noch Masken mit dem Schweizer Kreuz. Das sieht man überhaupt nicht, in welcher Richtung es gehen soll.

Countdown 28, 5. März 2021

Was mir seit über einem Jahr am meisten fehlt, ist der Händedruck ...

Ein Handshake ist so ehrlich wie ein Augenkontakt und sagt viel mehr aus, als die üblichen Floskeln, die zurzeit unter den Hygienemasken hervorquellen. Man begrüsst und verabschiedet sich mit einem Handschlag : «Schön Dich zu sehen – es war mir eine Freude, Sie zu treffen etc. etc.» Man gratuliert sich mit den Händen oder begleitet durch Händehalten eine liebe Person in einer schwierigen Situation. Machen Sie das mal mit dem Ellbogen oder mit der Faust.

Ich denke, es gäbe da eine Lösung. Früher trat er oft bei Giacobbo/Müller auf, heute sieht man ihn im Kassensturz. Stefan Heuss, Kulturist, könnte doch so einen Armbeutel mit einem feinen Schlauch erfinden, der beim Händeschütteln automatisch die Hände mit Desinfektionsmittel schmiert. Es wäre ein schöne Geste und bei Leuten, die man nicht so mag, kann man immerhin sagen, ich habe ihm eine geschmiert ...

PS. Ich muss irgendwie schauen, dass Stefan Heuss diesen Beitrag liesst.

Countdown 29, 4. März 2021

Ich könnte Ihnen jetzt hundert Geschichten erzählen, wo ich die Finger abgeleckt habe (macht ja schliesslich jeder und jede) aber auch viele Geschichten, wo ich das besser nicht getan hätte. Das Leben ist ja zurzeit kein wirkliches Honiglecken. Aber trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb erlebt man in dieser Pandemiezeit Sachen, die man sonst verpasst hätte.

Gestern hat mir meine liebe Nachbarin Christine einen Wirzeintopf gebracht, den ich in normalen Zeiten nie auf den Teller bekommen hätte, weil ich das Mittagessen eigentlich konsequent mit Freunden in der Stadt geniesse. Sei es am Bratwurststand beim Bellevue, im Commercio oder halt sonst wo. Aber so einen Eintopf gibt es nirgends, auch sonst wo nicht. Allein der Duft, der meine Nase umschmeichelte, hat mich betört. Und dann der erste Löffel auf der Zunge offenbarte ein Geschmackerlebnis der ganz besondern Art, welche ich bisher nicht kannte. Hätte ich nicht noch eine grosse Portion im Teller vor mir gehabt, hätte ich diesen Happen nie runtergeschluckt sondern einfach im Mund hin und her gewälzt. Ich will gar nicht wissen, was da alles drin war, sonst wäre der Zauber nur noch ein Rezept. Wobei ein Rezept allein macht noch keinen Schmaus, viel wichtiger ist die Hand des Kochlöffels, welche durch die Seele der Köchin im richtigen Rhythmus geschwungen wird.

Ich habe noch einen kleinen Rest für heute aufbehalten, und jedes Mal wenn ich am Herd vorbeischleiche, rutscht mein Zeigefinger in die Pfanne.

Das sind die kleinen Dinge, die diese Pandemie so wertvoll machen.

Countdown 30, 3. März 2021

Dann kauft man sich wieder mal so ein Joghurt, weil man zurzeit Antibiotika reinhauen muss wegen einer Divertikelentzündung im Darm. Nicht irgend ein Joghurt sondern ein Saison-Joghurt – als ob für die künstlichen Aromastoffe von Givaudan nicht immer Saison wäre! Das im Glas gibt es schon lange nicht mehr, darum im Plastikbecher, zugedeckt mit einer Alufolie. Die Folie hat so eine kleine Lasche, mit der man den Deckel entfernen kann (könnte?). Aber eben, es kommt nur der halbe Deckel weg. Dann muss man mit dem Zeigfinger ins Joghurt greifen, um die verschmierten Folie ganz wegnehmen. Der Finger landet anschliessend automatisch im Mund, wo er abgeschleckt wird. Spätestens jetzt merkt man, dass man das falsche Aroma gewählt hat. Von aussen sah die Packung nach Hasselnuss aus, der Geschmack war aber Marroni. Ich habe meinem *Hund versprochen, nach seinem Tod nie mehr Marroni zu konsumieren. Ich hätte aber auch einfach lesen können, denn unter den abgebildeten “Haselnüssen“ stand tatsächlich Marroni, darum auch Saison-Joghurt.

Ich weiss jetzt nicht, was ich mit dem zweiten Marroni-Joghurt machen soll? Man kauft die ja immer im Doppelpack. Man könnte sie auch einzeln kaufen, dann müsste man aber die beiden Joghurts an der Bruchstelle der Packung trennen. Und das vor anderen Leuten. So eine perforierte Bruchstelle funktioniert ungefähr gleich zuverlässig wie die Lasche am Deckel ...

* Für Neuleser dieser Einträge: Wir hatten während zehn Jahren einen Hund, der Marroni hiess und mussten ihn letzten August einschläfern lassen.

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Countdown 31, 2. März 2021

Es gibt Leute, die haben den gestrigen Text gegoogelt. Fehlanzeige. Meine Träume kann man nicht googeln. Auch meine Schmerzen, meine Sehnsüchte und meine Hirngespinste sind nicht digital abrufbar. Die sie ganz alleine für mich. Gewisse Freunde können sich teilweise in sie hineinversetzgen, weil sie selber auch unrational sinnieren. Sie sehen ähnliche Farben, die es nicht gibt sowie Abläufe und Zeitverdrehungen, die jeder Logik widersprechen.

Es ist eine wunderbare Möglichkeit, die sozialen Defizite zu kompensieren und eröffnet Welten, von denen wir nur träumen können: Nomen est omen.

Countdown 32, 1. März 2021

Quadatis limono. Inspiratis vergo polate esconata, watusi ste conta issusis-heltona. Veliccore mana crospato golate inro verpuca. Cacàre hem cholpite vassa dermilete volga zsorbati. Conta perblum istini i flagutinà fet opastiato dremeluss. Mahanda fosta logate risti walunga. Compadure helixo collessmo fatu, ste lopandie sabbijo hermalluxa finistate basste aloogori.

Besser kann man diesen wunderbaren Traum, der mich diese Nacht begleitete, nicht umschreiben. Und weil Träume immer etwas hinterlassen, habe ich heute früh auf meinem Kopfkissen diese winzig kleine marlem lipidi entdeckt.

Countdown 33, 28. Februar 2021

Die psychologische Deutung des gestrigen Haiku, zeigt die Zerissenheit der Autors. Einerseits die Sehnsucht und die momentane Unerreichbarkeit nach Ferne (Fujiyama), die offene Art seines Geistes (offener Krater) aber auch der Drang nach Tiefe und die Suche nach inneren Werten (der Krater, der ins Innerste der Erde aber auch der Seele des Autors führt). Seine Hitze nach Erleuchtung (Ausbruch des Vulkans) kühlt er selber durch die Erwähnung der Schneedecke, die den Gipfel bedeckt, ab. Der Schnee bedeutet aber auch Reinheit und Vergänglichkeit, da der Autor genau weiss, dass dieser Schnee einmal schmelzen wird.

Neben diesem Ausbruch der Lebenslust und Neugierde, entlarvt das Haiku auch die innere Gefangenheit des Schreibers. Er bewegt sich nicht, er sitzt und ist in keiner Weise auf seine Abenteuerreise vorbereitet. Das Pyjama zeigt seine Verbundenheit zum Hier und Jetzt. Das Bett ist ihm näher als der Berg, den er so gerne erklimmen und erforschen möchte. Das Pyjama symbolisiert zudem seinen Wunsch nach Wärme und Geborgenheit. Man kommt nicht darum herum zu fragen, ob er sich durch einen postsymbiotischen Ödipuskomplex selber daran hindert, seine tief in ihm verwurzelte Taubheit zu überwinden. Kurzum, ein Mensch zwischen Omen und Amen.

Es wäre für mich interessant, diesen Haiku-Autor kennenzulernen und ihm mal tüchtig meine Meinung zu sagen.

PEER CASARI, P.O.A (Psychologe ohne Ahnung)

Countdown 34, 27. Februar 2021

Einfaches Haiku für Zwischendurch:

Der Schnee bedeckt den Fujiyama
Und ich sitz da
Im Pyjama.

Wenn mein Freund Peter das liest, meint der, dass ich überhaupt nichts verstanden habe, als er mit heute Morgen ein Reclam-Büchlein mit 852 Haikus (Japanische Dreizeiler) geschenkt hat. Recht hat er, aber ein Versuch war es allemal wert.

Countdown 35, 26. Februar 2021

Warum hören wir das Schreien der Bäume nicht, wenn man sie abholzt? Tönt jetzt ziemlich esoterisch. Aber ich habe gestern einen Film auf 3sat gesehen “Das Geheimnis der Bäume“, der unser menschliches Leben doch ziemlich in den Schatten stellt (das ist doppelt gemeint). Was ist ein Menschenleben im Vergleich zu einem tausendjährigen Baum, der in, unter und um sich einen ganzen Kosmos aufbaut und aktiv mit den anderen Pflanzen, ob Feinde oder Freunde, kommuniziert, agiert und reagiert. Der sich und seine Gene über hunderte von Kilometern verbreitet, indem Tiere seine Samen fressen und irgendwo wieder als Kot rauslassen.

Wenn man sich solche Filme zu Gemüte führt und dann noch ein bisschen nachdenkt, erkennt man schnell, dass wir Menschen eigentlich der grösste Störfaktor in der Natur – wir gehören auch dazu! – sind.

Wir wissen so wenig, was um, unter und über uns passiert und wir nehmen uns so wichtig. Wir machen vieles falsch und meinen in der richtigen Richtung zu gehen. Vielleicht sind wir aber nur ein Virus und die Natur wird uns besiegen. Wir denken in Menschenleben, die Natur hat grössere Horizonte im Fokus. Irgendwie komme ich mir vor wie eine Eintagsfliege, die versucht dem Spinnennetz zu entgehen und trotzdem am Abend stirbt.

Countdown 36, 25. Februar 2021

Heute vor einem Jahr dachte ich: Sch..., jetzt fängt das bei uns auch an. Aber das Tessin ist ja ännet dem Gotthard und sowieso unser weltbestes Gesundheitssystem wird so was wie in Italien nie zulassen. Mein Freund Felix hatte sich bereits Masken gekauft und wir fanden das ziemlich übertrieben.

Aber erstens kommt es anders, zweitens als man denkt und drittens sind es sowieso immer die anderen. Die Epidemie breitete sich rasant aus – und die Versicherungen sprachen schnell von einer Pandemie, damit sie die Geschäftsverluste von Firmen, die sich gegen eine eventuelle Epidemie versichert hatten, nicht berappen mussten. Kurzum, es brach ein Chaos aus und man merkte, wie unser „sicheres“ Land sich je länger je mehr in sich widersprach und man Versäumnisse durch zwei Glatzköpfe (Koch und Berset) schön redete. Man organisiert Klatschkonzerte auf den Balkonen für das stark geforderte Gesundheitspersonal, versprach sogar eine deutliche Lohnerhöhung, welche sich aber nie durchsetzte und man bat die Leute zu Hause zu bleiben. Für all die, die kein Zuhause haben, hatte man keine Lösungen. Man sprach von einer ersten Welle, die sich schnell wieder ebnen würde und versicherte, alle Massnahmen im Griff zu haben, damit keine zweite Welle auf uns zukommen könnte.

Heute, ein Jahr später, sind wir etwas gescheiter (wir haben sogar Impfungen) aber uns in keiner Art und Weise einig. Schnell- und Speicheltests gibt es nur in gewissen Kantonen. Die Uneinigkeit zwischen Kantonen, Verbänden, Parteien des Bundes und des BAG verhindern gezielte Massnahmen, so, dass auch eine dritte Welle nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

Ganz nach dem Motto des Bundesrates: es gibt noch viel zu impfen, warten wir’s ab.

Countdown 37, 24. Februar 2021

«Grüezi, min Name isch Hauser vo de Hauser Tegschtwarefabrik in Züri Witike. Ich fabriziere Tegscht und Gschichte i jedere Längi und verchauf si diräkt ab Computer..

De Verchauf von Tegscht und Gschichte isch Vertrauenssach. Drum chönd sie drufluege, wie ihri Tegscht und Gschichte mit Wort gfüllt werdet.

De geischtig Sinn chönd sie uf Wunsch mit meh oder weniger Inhalt wähle.

Da werdet Buechstabe von tote Literate verarbeitet.

Da werdet Tegscht i Spalte glayoutet, damit die einzelne Wörter nüme verrutschet.

Scho ab 300 Franke gits bi mir en Eis-A-Werbetext, 90 Prozänt fehlerfrei, 210 mal 297 Millimeter.

Das isch eusi Tippfehlerreinigung. Au da chönd sie am Bildschirm debi sii und zueluege.

Ich freu mi uf ihre Uftrag bi de Hauser Tegschtwarefabirk in Züri Witike am Zürisee.»

Countdown 38, 23. Februar 2021

Wir leben in einer komischen Zeit. Am 7. März sollen wir darüber abstimmen, ob man in Zukunft in der Öffentlichkeit sein Gesicht verhüllen darf oder nicht? Gleichzeitig wird schweizweit in der Öffentlichkeit eine Gesichtsmaske empfohlen, im öffentlichen Verkehr und in Innenräumen sogar vorgeschrieben.

Nehmen wir an, die Initiative wird angenommen, dann machen wir uns alle ab sofort strafbar, wenn wir die vom Bund beschlossenen Massnahmen einhalten. Also, sie bekommen so oder so eine Busse oder Verzeigung, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen. Entweder weil sie gegen die Maskenpflicht verstossen oder gegen das neue Verhüllungsgesetz.

Die Bussen sind in jeder Gemeinde ein fester Bestandteil der Einnahmen. Wenn weniger Leute mit der ÖV unterwegs sind, gibt es auch weniger Schwarzfahrer. Wenn um 18 die Beizen geschlossen werden müssen, gibt es weniger Parksünder, weil man ja in Zürich bis 21 Uhr bezahlen muss. Aber was soll man ab 18 Uhr in der Stadt machen? Wenn im Sport nur noch Geisterspiele stattfinden, gibt es keine Hooligans mehr, die gegen das Verhüllungs- und Versammlungsverbot verstossen.

Ich glaube, die Initiative ist eine Mogelpackung, um die entfallenen Busseneinnahmen zum kompensieren.

Countdown 39, 22. Februar 2021

Gestern haben wir drei ältere Herren den frühlingshaften Sonnentag auf meiner Terrasse mit dem nötigen Abstand genossen. Dabei sind wir uns in folgenden Punkten einig:

  1. Wir sind privilegiert hier zu wohnen und/oder einen Garten zu haben.
  2. Die wirklich guten Beizen im Niederdorf und im Seefeld haben bereits vor dem Coronavirus den Wirt gewechselt und sind jetzt Schickimicki-Tempel.
  3. Die immer neuen Handy-Funktionen überfordern uns.
  4. Ein guter Rotwein aus dem Aargau (Tegerfelder Pinot Noir) kann problemlos mit einem Ripasso aus Italien mithalten.
  5. Um die Rosen zu schneiden, ist es noch zu früh.
  6. Ein Dessert nach einem Fondue ist überflüssig (rein theoretisch, denn wir haben Spaghetti gegessen und vielleicht war es einfach ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl).
  7. Die besten Würste kommen aus der Ostschweiz und eine St. Galler-Bratwurst sollte man vor dem Grillieren kurz schwellen.
  8. Die Wohnungen werden immer teurer und die Swisslife ist schuld daran (diese undifferenzierte Aussage, fiel nach dem Ripasso und dem Tegerfelder).
  9. Die heutige Jugend isst keine Schnörli, Gnaggi und Schweinsfüessli mehr. (Ich auch nicht!).
  10. Der Metzger im Seefeld kennt den Unterschied zwischen einem guten Pfeffer (Hirschpfeffer, Hasenpfeffer etc.) und einem Voressen nicht.
  11. Die Wirtin der Pizzeria an der Fröhlichstrasse hat jetzt acht Kinder.

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Countdown 40, 21. Februar 2021

Frau Susanne Pflüger hat gestern im Zentrum Witikon Flyer verteilt, damit sie am 7. März als Friedensrichterin wieder gewählt wird. Eigentlich sehr sympathisch, wären da nicht noch drei Adlaten herumgestanden, die die üblichen Parteiparolen runterleierten. Ich wähle ganz sicher als Friedensrichterin keine Partei, wenn schon, dann eine Person. Ich kam mit ihr ins Gespräch und fragte sie, wenn ich sie jetzt wählen würde, ob ich dann bei einer eventuellen gerichtlichen Gegenüberstellung von gewissen Bonuspunkten profitieren könnte? Obwohl ich bisher vor solchen Terminen verschont worden bin, könnte sich das in Zukunft ja ändern.

Ich stelle fest, dass bei mir mit dem Alter auch ein gewisser Hang zur Kriminalität steigt. Vielleicht trete ich einmal einer übereifrig parkbussenverteilenden Hochsicherheitsbeamtin ins Schienbein oder ich kippe einem Versicherungsvertreter, der mich zum Essen einlädt, die Suppe über seine Designer- Jackett und bemerke dann, dass es schade um die Suppe sei. Es könnte auch sein, dass ich mit einer Blick-Volontärin im Lift stecken bleibe und ich ihr 15 mal ihren eigenen Artikel vorlesen würde. Es gibt soviel Dinge, die eigentlich noch Spass machen würden und, wenn man dann bei einer Friedenrichterin von einer gewissen Seilschaft profitieren könnte, wäre das nicht von Nachteil.

Countdown 41, 20. Februar 2021

Jetzt sitz ich wieder da vor diesem weissen Rechteck auf dem Bildschirm, das mir vorgibt ein Blatt Papier zu sein und mich genau so dumm anstarrt wie ich es. Es sieht in seinem Gegenüber sehr wahrscheinlich auch die Leere. Mit dem Unterschied, dass es nie die Absicht hat, mich mit irgend etwas zu füllen. Man sagt, Papier ist geduldig, ein leeres Word-Dokument auch. Ich kann machen mit ihm, was ich will. Ich kann es vergrössern, verkleinern, querstellen und ich kann es beschreiben.

In dem berühmten Song “Nights in White Satin“ (1968) von den Moody Blues gibt es den sehr wahren Satz «Letters are written, never meaning to send». Das passiert auch (zum Glück) mit den meisten Word-Dokumenten. Gäbe es da nicht Einen, der meint, er müsse seine Weisheiten jeden Tag aufs Internet stellen ...

Countdown 42. 19. Februar 2021

«Wir sind zwei ganz dicke Freunde!» – das war einmal. Denn ab sofort will man keine dicken Freunde mehr. Amerikanische Forscher der Universität Harvard haben scheints herausgefunden, dass ältere Menschen mit einem erhöhtem BMI (Body-Mass-Index) am meistens Aerosole produzieren, die für die Übertragung des Corona-Virus verantwortlich sind.

Also, neben dem Impfausweis und dem höchstens 48 Stunden alten Negativtest wird man in Zukunft auch noch ein BMI-Attest vorweisen müssen, wenn man sich als über 65-Jähriger in normaler Gesellschaft bewegen will. Irgendwie erinnert es mich an eine Zeit, die ich zum Glück nicht erlebt habe.

Countdown 43, 18. Februar 2021

«Das Licht am Ende des langen Tunnels» (Zitat von Bundespräsident Parmelin in der gestrigen Medienkonferenz) entpuppt sich höchstwahrscheinlich als ein Coronavirus mit Taschenlampe. Alle reden von testen, testen, testen. Graubünden macht es vor. In Zürich kann man sich nicht einmal erkundigen, wo es solche Speicheltests gibt. Da bleibt einem, liebe Natalie Rickli, ganz einfach die Spucke weg. Die Chance, dass es eine dritte Welle geben könnte, ist zumindest nicht von der Hand zu weisen. Man hätte jetzt auch ein bisschen (schlechte) Erfahrungen und etwas Zeit gehabt das Contact Tracing zu verbessern. Aber eben: man hätte!

Seit vielen Jahren spricht man von einem vereinigten Europa, um die grossen Probleme angehen zu können. Corona ist ein solch grosses Problem - man hätte diesbezüglich grenzüberschreitende Massnahmen entscheiden können, denen sich eventuell sogar die Schweiz angeschlossen hätte. Aber eben: man hätte!

China hat sehr rigorose Massnahmen durchgesetzt und nähert sich wieder einem Normalzustand. Zudem beliefert China arabische, afrikanische und südamerikanische Länder gratis mit Impfdosen. Später sagen wir uns im Westen, das hätten wir vielleicht besser auch so gemacht. Aber eben: hätten wir?

Ich hätte Lust, mit Freunden wieder mal so richtig auf den Putz zu hauen. Aber eben: ich hätte – wobei ich auf den “chinesischen Normalzustand“ gerne verzichte!

Countdown 44, 17. Februar 2021

Bin sehr müde, leg mich zur Ruh
Mache meine Augen zu
Morgen ist ja auch ein Tag
Wo ich wieder schreiben mag

Countdown 45, 16. Februar 2021

Seelenschiff. Was ist das? Ganz sicher nichts Schweizerisches. Sonst gäbe es eine SSSG, eine Schweizerische Seelenschiff-Gesellschaft. Gibt es aber nicht. Das mit der Seele ist in unseren Kulturkreisen sowieso ein Bisschen ein Problem – und dort wo es Probleme gibt, gründen wir auch keine Gesellschaft. Ausser die Bankgesellschaft. Aber die ist systemrelevant, das heisst, die wird, wenn sie Probleme hat, vom Bund, also vom Steuerzahler systemrelevant unterstützt.

Was mit unserer Seele nach dem Tod passiert, ist für uns rational denkende Mitteleuropäer kaum von Interesse. Zum Glück für die Menschheit, gibt es Kulturen, die der Seele – nicht nur der Seele der Menschen – mehr Bedeutung zumessen. Zum Beispiel die Mexikaner, die nicht für, sondern mit den Seelen jedes Jahr Ende Oktober am “Dia de los mouertos“ ein fröhliches Riesenfest mit Musik, Tanz, Blumen und einem bunten Markt feiern.

Aber auch im Osten, u.a. im Tibet oder in Indien sind die Seelen Teil der Gesellschaft. Das Völkerkundemuseum der Uni Zürich, im alten botanischen Garten, plant eine Ausstellung zum Thema “Seelenschiff”. Was wir nicht kennen, stellen wir aus und versuchen es wissenschaftlich zu erklären. Wir könnten aber auch einfach unsere Seele baumeln lassen und uns in diese Kulturen hineinfühlen. Es muss nicht alles erklärbar sein. Die Seele schon gar nicht.

Countdown 46, 15. Februar 2021

Ich schaue auf die Digitaluhr meines DAB+-Radioweckers. 19.52. Das ist auch mein Geburtsjahr. Etwas später blicke ich wieder auf die Uhr: 20.21. Mein ganzes bisheriges Leben in einer knappen halben Stunde? Haben die da nicht etwas ausgelassen?
Meine intensiv gelebten Jahre, von der Einschulung bis zum Verkauf meiner Werbeagentur – einfach weg, als wären sie nie da gewesen. 19.68, als ich den Strassenkrawallen vor dem Globusprovisorium mitmachte – ich wusste zwar nicht, um was es genau ging, wollte aber dazugehören. Meine erste, zweite, dritte und vierte grosse Liebe und einige One Night Stands dazwischen. Mein 24-Stunden-2CV-Rennen in Argeton (Frankreich), die vielen lauten Tage an der Zürcher Fasnacht und speziell am KüMa (Künstlermaskenball), meine sagenhaften Flanken beim Fussball, die zwar selten bis nie zum Sieg führten, meine WGs in Horgen und Fällanden, wo wir einmal fast die Hütte abgefackelt hätten, die “wilden Jahre“ an der Nordstrasse mit freier Sicht auf das AJZ oder meine beiden Aufenthalte in New York, wo ich eine Frau kennenlernte, die jetzt zu den 20 reichsten Amerikanerinnen gehört.

Kann es sich mein Radiowecker erlauben, diese Zeit einfach verschwinden zu lassen? Ich bin mir unsicher und schaue in meinen alten Fotoalben nach – ich habe tatsächlich zwischen 19.60 bis 19.99 existiert. Irgendwie beruhigt mich das, macht mir aber auch Angst, wie die besten Jahre meines Lebens einfach im Nichts verschwinden können.

Countdown 47, 14. Februar 2021, Valentinstag

«Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist»

«Früher war sogar die Zukunft besser»

Karl Valentin, 4. Juni 1882 bis 9. Februar 1948

Countdown 48, 13. Februar 2021

Wenn ich so flach in der Badewanne liege – und das mach ich verdammt gerne – sehe ich zuerst Wasser, dann meinen Bauch, der wie ein Honigmond aus am Wasser ragt und dahinter zwei kleine Inseln, das sind meine beiden Knie. Ich schliesse langsam die Augen und mein Blick wandert Richtung Süden, wo der grosse Zeh meines rechten Fusses bereits aus dem Mittelmeer blinzelt. Den Albis und die Alpen habe ich ausgeblendet (freie Sicht aufs Mittelmeer!). Meine Sinne fahren der Riviera entlang, streifen den Aetna, überfliegen die Pyramiden und landen in der Sahara, die ähnlich aussieht wie mein Bauch. Ich überquere den Äquator und befinde mich in einem Wildpark mit Giraffen, Impalas und Warzenschweinen. Der Krater des Kilimandscharos ist in eine weisse Wolke gehüllt – sieht aus wie ein Ufo. Ganz in der Ferne entdecke ich die Landzunge des Feuerlandes und mein Geist umsegelt das berühmte Kap Hoorn.

Meine wunderbare Reise wird jäh durch einen Telefonanruf unterbrochen. Jetzt habe ich einen geistigen Filmriss, steige etwas verärgert aus der Badewanne und stelle ernüchternd fest, dass ich mich nach wie vor auf der nördlichen Halbkugel der Erde befinde, während sich das Mittelmeer mit einem Strudel im Gegenuhrzeigersinn im Ablauf verabschiedet.

Badeinspiration durch das berühmte Titelbild von Saul Steinberg für das Magazin “The New Yorker“.

Countdown 49, 12. Februar 2021

Mein Kühlschrank wiederholt sich. Wäre ich jetzt Fischli-Weiss, würde ich ihn jeden Tag mit offener Tür fotografieren und das dann dank einem sich selbst überschätzenden Kurator in einem angesehenen Museum ausstellen. An der Art Basel würden dann diese einzelnen Polaroids – in diesem Sinne Unikate, datiert und signiert – für teures Geld verkauft. Jeder Käufer wäre dann Mitinhaber eines Gesamtkunstwerks. Das Original, der Kühlschrank, würde nach meinem Tod aus der Wohnung entfernt und bei Sotheby’s für eine Unsumme versteigert. Es gäbe dann Streit, wem das Geld des Erlöses gehört. Elektrolux würde Urheberrechte geltend machen, mein Hausbesitzer, eigentlich Eigentümer der Einbauküche, würde seine Ansprüche anmelden und meine Erben würde es bereuen, dass sie seinerzeit das Erbe ausgeschlagen haben, weil sie als Kunstbanausen gar nichts von dem Kühlschrank gewusst haben.

«Ich habe fertig!» und schaue jetzt in meinem Kühlschrank nach, ob von der Wiederholung noch etwas übrig ist, das ich mir aufs Brot streichen kann.

Countdown 50, 11. Februar 2021

Heute ist “Schmutziger Donnerstag“ – zumindest bei mir in der Wohnung.

Countdown 51, 10. Februar 2021

Der Landesstreik 1918 war auch eine Folge der spanischen Grippe. Ein grosser Teil der arbeitenden Bevölkerung war orientierungslos, teilweise verarmt und ohne Perspektive, weil sich die Landesregierung, die Kantone und die einzelnen Gemeinden in den Massnahmen widersprachen.

Der Bundesrat setzte die Armee gegen die eignen Landsleute ein. Drei Personen wurden im Zug des Streiks durch Ordnungstruppen getötet (neben den 22'000 Toten der Spanischen Grippe).

Wiederholt sich die Geschichte gut 100 Jahre später? Nicht wegen der Pandemie als solches, sondern wegen der Perspektivlosigkeit, die durch eine völlig dilettantische und sich immer mehr widersprechende Kommunikation der Regierungen hervorgerufen wird. Die Regeln werden jeden Tag geändert, auf Fragen der besorgten Bürger und Kleinunternehmer erfolgen keine Antworten. Man weiss nicht einmal, wo man anfragen kann. Logisch, dass man wegen der Mutation des Virus keine Zeithorizonte kommunizieren kann, man könnte aber sagen, dass diese oder jene Faktoren für eine Lockerung oder für eine Verschärfung zuständig sind. Man weiss heute noch nicht, wo sich die Leute anstecken, weil das millionenteure Contact Tracing völlig versagt hat. Die Politik hat es völlig verpasst die Infrastrukturen auf eine zweite Welle vorzubereiten (Teststrategie, Impfstrategie). Man hat über ein halbes Jahr dazu Zeit gehabt und praktisch nichts gemacht – und dann war man völlig überrascht ... Die Gesundheit der Menschen spielt neben der Wirtschaftlichkeit und Rendite des Gesundheitswesens nur eine marginale Rolle und ist nach wie vor Privatsache.

Bereits heute stehen die “Verlierer“ wieder stundenlang im Regen und in der Kälte für Esspackete, die durch private Organisationen verteilt werden an (die Bilder erinnern mich irgendwie an den Zweiten Weltkrieg – einfach in Farbe), während jeden Abend von den Grossverteilern sogenannt abgelaufene Lebensmittel vernichtet werden müssen. Man mache sich deswegen grosse Sorgen beteuern die Sozialvorsteher, unternehmen aber nichts.

Ich mache mir grosse Sorgen um den sozialen Frieden. Irgend einmal gehen die Leute wieder auf die Strasse. Nicht nur in der Schweiz sondern weltweit und viele von uns werden dabei sein, obwohl sie sich das heute noch gar nicht recht vorstellen können.

Countdown 52, 9. Februar 2021

Macht lustig sein glücklich? Ich weiss nicht, ob lustige Menschen grundsätzlich glücklich sind oder ob sie einfach andere glücklich machen. Bin ich glücklich, wenn ich einen lustigen Witz erzähle? – nicht eigentlich. Ich bin erst glücklich, wenn dieser Witz bei meinem Gegenüber ankommt. Man sagt ja, dass viele Clowns eigentlich traurig sind. Wobei auch traurig sein, kann glücklich machen. Wenn man die Trauer teilen kann, wenn sich jemand deiner Trauer annimmt, so macht das glücklich: «Ich bin so glücklich, dass ich Dich habe.»

Glück ist eine Art Erlösung oder Ablenkung aus einem schrecklichen oder traurigen Zustand. Glück ist Nähe und Geborgenheit und wenn wir Glück haben, sind wir bald aus diesem Coronaschlamassel raus. Ob wir dann das Glück auch annehmen und im Kopf dafür Platz haben, ist eine andere Frage. Ich glaube kaum. So wie ich unsere Spezies kenne, rennen wir dann eher wieder dem Alltagsstress nach und sagen uns: «Nochmals Glück gehabt!»

Countdown 53, 8. Februar 2021

Heute ist Montag. Das muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, da sich die Tage in letzter Zeit absolut wiederholen und die Wochen als solche gar nicht mehr stattfinden.

Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020, wo wir Alten liebenswerterweise von jüngeren Nachbarn bedient wurden, wagte ich wieder selber einzukaufen. Ich beschränkte meine Einkäufe auf Dienstag und Freitag, denn ich wusste ja ungefähr, was ich so brauchte.

Jetzt in der zweiten Welle wollte ich das wieder so handhaben. Aber das geht nicht. Irgendeinen Sozialkontakt brauche ich. Darum gehe ich – nicht vorbildlich – jeden Tag, kurz nach der Mittagszeit in die Migros und kaufe für einen Tag ein. Ich gehe immer an die gleiche Kasse zu einer netten Dame Mitte vierzig, die inzwischen auch eine Maske trägt, und wechsle mit ihr zwei/drei oder mehr Worte. Ich bilde mir ein, sie würde mich vermissen, wenn ich nicht komme und ich sie auch. Das Schlimme ist, dass, wenn wieder alles “normal“ wird, wir uns aus den Augen verlieren, weil wir einander nicht mehr brauchen. Sie mich vielleicht weniger als ich sie. Jetzt hoffe ich einfach, dass sie solange gesund bliebt und, wenn sie am Mittwoch nicht arbeitet, ich mir keine Sorgen um sie mache, denn jeweils am Donnerstag sitzt sie wieder hinter der Scheibe.

Countdown 54, 7. Februar 2021

«Die Wichtigkeit des Bostitch erkennt man erst wenn er leer ist und man keine Ersatzklammern mehr hat.»

Rudolf Pechler, Buchhalter, Homeoffice, 21. Jh.

Countdown 55, 6. Februar 2021

Ich bin kurz abgetaucht und habe die Worte wieder gefunden. Wo? Im Wörthersee. Und das Gute daran – der kann nicht einmal seinen Namen richtig schreiben. Ich richte mich in Zukunft nach den Regeln des Wörthersees und nicht mehr nach dem Duden. Das kommt meinem Schreibstil sehr entgegen, wie geneigte Leser sicherlich schon bemerkt haben. Also regt Euch nicht auf über gewisse Bachstubenverwichslungen oder fehlende Kommas. Das Wichtigste ist, dass es am Schluss einen Punk hat

PS. Die Wahlen gestern waren ein voller Erfolg: 3 mal JA, 1 mal NEIN und ca. 650 Enthaltungen

Countdown 56, 5. Februar 2021

Mir fehlen die Worte. Nicht so schlimm, kann man ja mit Taten ersetzten. Aber die fehlen mir auch. Gut, dann nehme ich das “T“ weg und ersetze es durch ein “D“. Schon besser, freie Daten hätte ich genug, nur kann ich diese momentan kaum nutzen. Kurzum, ich schaue tatenlos zu, wie die Daten vorbeihuschen und kann das nicht in Worte fassen.

Unter diesen Voraussetzungen bin ich eigentlich der ideale Kandidat für eine politische Karriere. Also: wählt Hauser!

Countdown 57, 4. Februar 2021

«Es kostet Sie nicht 900, nicht 800, nicht mal 700, es kostet Sie gerade mal vier Raten à 160 Franken. Und das Beste kommt noch: wenn Sie jetzt gerade bestellen, erhalten Sie das ganze Set, inkl. dem sicheren Wandhalter und dem Akkuladegerät gleich doppelt. Zum einmaligen Mediashop-Sofortpreis von 4 mal 160 Franken. Sie sparen 640 Franken. Rufen Sie jetzt gleich an, das Angebot ist streng limitiert und nur heute und jetzt gültig. Rufen Sie an.»

Dieses Angebot, welches nur heute gilt, war bereits gestern gültig und wird es wohl auch morgen noch sein.

Haben Sie schon mal am Nachmittag in die Röhre geguckt? Da kommt man sich richtig blöd vor, wenn man nicht gleich zum Hörer greift. Ich habe mir schon überlegt, eine zweite Wohnung zu mieten, weil man ja alles doppelt bekommt und ich dabei so viel Geld spare. Ob Matratzen-Auflagen mit patentierten Luftkammern mit achtfacher Luftdurchlässigkeit und drei Komfortzonen zu 4 statt 6 Raten. Slippedy Fish, der bewegliche Fisch aus strapazierfähigem Material mit USB-Anschluss und Katzenminze: «Damit schonen Sie ihre Vorhänge und Polstermöbel weil ihre Katze, egal welchen Alters, nur noch mit ihm spielen will.» Also, neben der neuen Wohnung auch noch eine, respektive 2 Katzen. Und eine neue Freundin brauch ich jetzt auch nicht mehr, weil Asam Teint die Fältchen innert Minuten verschwinden lässt. Und das zum Spezialpreis von nur CHF 49.50 statt CHF 86. Ich spare hier und jetzt über 36 Franken. Aber halt, wenn ich jetzt gleich bestelle, erhalte ich die Asam-Line gleich doppelt und ich weiss, dieses einmalige Angebot ist streng limitiert. Das Angebot an doppelten Freundinnen auch!

Morgen kauf ich mir das patentierte Messer aus hochwertigem Edelstahl mit dem 14-fachem Japanschliff, mit welchem man gleichzeitig Stahlnägel und Tomaten schneiden kann und dann noch den Bodenvibrator Topper, mit dem ich bequem vom Sessel aus innert 2 Wochen über 3 Kilo abnehme. Auch im Doppelpack – macht dann 6 Kilo.

Ach ist die Welt doch wunderbar und was haben wir alles verpasst, als wir unsere Arbeit noch im Büro erledigten ...

Countdown 58, 3. Februar 2021

Es gibt Leute, mit denen ist es einfach zu kommunizieren und andere, mit denen ist es komplizierter. Die aktuelle Corona-Situation macht es auch nicht einfacher. Man hat auch keine Vergleiche mehr. Grundsätzlich kommuniziere ich in letzter Zeit eigentlich nur noch mit mir selber. Ich habe immer gedacht, dass ich ein einfaches Gemüt sei und man mit mir ganz gut zurechtkommt.

Weit gefehlt; bereits getroffene Entscheide – zum Beispiel, soll ich jetzt auf der linken oder rechten Seite in meinem Bett schlafen? – werden ohne Grund hinterfragt oder nicht eingehalten. Da kommt an einem so langen Tag oft was zusammen und endet manchmal auch im Streit. Dann muss ich mit mir selber Kompromisse eingehen. Aber was nützt das, wenn sich nur die eine Seite kompromissbereit zeigt und die andere auf stur macht.

Blöderweise ist die Seite, die auf stur macht, oft noch im Recht und beharrt darauf, dass man keine Kompromisse eingeht. Kompromisse sind Zeichen von Schwäche, sagt der sture Teil. Und tatsächlich, das sieht man ja auch in der Politik; ein bisschen so, ein bisschen so, von keinem zuviel, und das Ganze erst nachdem man in der dafür eingesetzten Kommission einen Kompromiss gefunden hat. Ich kann für mich selber keine Kommission einsetzen, da ich nie ein einfaches Mehr erzielen würde und das extern geben müsste, was aber in der heutigen Situation nicht möglich ist, weil das Externe (also das Gegenüber) eben nicht da ist.

Zum Glück habe ich zwei/drei tägliche Telefonkontakte mit Leuten, die immer noch meinen ich sei ein guter Kommunikationspartner. Lassen wir (ich und ich) denen doch den Glauben. Übrigens den Typ, den ich hier speziell meine, hat es mit sich selber auch nicht einfach. Kommt noch dazu, dass er Doppelbürger ist – einerseits ein Wienerschmäh und andererseits ein sturer Zürcher. In dem seiner Haut möchte ich nicht stecken, aber er tröstet sich vielleicht auch damit, dass er mit mir telefonieren kann und wir kompromisslos uns auf den nächsten Telefonkontakt miteinander freuen können. Und das tue ich tatsächlich.

Countdown 59, 2. Februar 2021

Heute in genau einem Jahr haben wir eine Schnapszahl.

Na dann: Prost

Countdown 60, 1. Februar 2021

Wenn ein Mann behauptet, er verstehe die Frauen, hat er bereits durch diese Aussage bewiesen, dass er gar nichts versteht. Frauen sind nicht da, um sie zu begreifen. Frauen sind da, um geliebt, bewundert, geschätzt und Ernst genommen zu werden. Um sie zu entdecken, ihre Marotten zu akzeptieren und ihre Launen zu erdulden. Es gibt Unterschiede zwischen Frau und Mann. Diese zu werten liegt aber nicht in der Hand des „starken“ Geschlechts. Frauen sind ebenbürtige Geschöpfe, sie ticken einfach ganz anders.

Ich bin froh, dass ich kein Moslem bin und in einem späteren Dasein dank meinem gottesfürchtigen Leben mit 72 Jungfrauen belohnt werde. Ich komme ja schon mit einer Einzigen hier auf Erden nicht zurecht.

PS. Heute vor 50 Jahren wurde endlich das Frauenstimmrecht in der Schweiz eingeführt. Damit wären eigentlich auch die Voraussetzungen für gleiche Rechte und Pflichten erfüllt ...

Countdown 61, 31. Januar 2021

Es findet alles gar nicht statt. Wir tun nur so, als fände es statt. Da gibt es ein Abkommen zwischen den Regierenden, den Medien und den Veranstaltenden. Da werden alte Skirennen neu zusammengeschnitten und am Schluss Lara Gut-Behrami als Siegerin erkürt. Niemand hat es gesehen, ausser am Fernsehen. Für die Medien ist es eine Gratwanderung, wie weit sie gehen dürfen, dass alles noch knapp glaubhaft ist; so kann man schon mal den FC Zürich gegen den FC St. Gallen gewinnen lassen. Das gibt dann wieder Gesprächstoff – jetzt wollte ich schon sagen am Stammtisch – am Telefon oder über den Gartenzaun. Keiner hat es gesehen aber in der Sportschau wird gezeigt, wer die Tore geschossen haben soll. Man spannt den Bogen noch mehr; Simon Amman hüpft auf einmal bei einem Skispringen wieder in einen Final.

So werden die zuhause Gebliebenen – an einem Samstag wie gestern eigentlich alle – bei Laune gehalten. Weil Fussball und Schneesport bei den Schweizern den grösseren Stellenwert haben als die gerechte Verteilung der Impfdosen oder das Funktionieren des Contact Tracing, kann man als Regierung wieder ein Wochenende überbrücken und dann zu Beginn der nächsten Woche erneut mit Medienkonferenzen bestätigen, dass man eigentlich alles im Griff hat. Komischerweise gibt es aber immer einzelne Gruppen, die das nicht mehr so recht glauben wollen und sich durch solche, jeder Grundlage entbehrenden Kolumnen wie diese, bestätigt fühlen.

Fakt ist: Lara Gut hat gewonnen, der FCZ auch und Simon Amman hat den Sprung auf Platz 12 geschafft. Was jedoch nicht stimmt ist, dass man alles im Griff hat.

Countdown 62, 30. Januar 2021

«Dafür stehen wir mit unserem Namen» (wobei das Wort “Namen“ in der Tonhöhe etwas angehoben wird) – dieser TV-Spot läuft seit gefühlten fünf Jahren auf TeleZüri. Aber was für ein Name?

Da macht des der Herr Fischer von der Fischer Bettwarenfabrik in Au-Wädenswil am Zürichsee wesentlich besser. Zwar hat es sich jetzt, nach über 10 Jahren Selbstdarstellung und der Frauenquote zuliebe, noch eine Partnerin an seine Seite gestellt, deren Name man aber ganz bewusst nicht versteht. Man weiss auch nicht, ob sie mit ihm das Bett oder nur die Bettwaren teilt. Das ist auch unwesentlich. Man weiss nur, dass man unter 90% toten Tieren, im Format 1 Meter 60 mal 2 Meter schon für 250 Franken gut schläft und dabei zusehen kann.

Countdown 63, 29. Januar 2021

Jetzt hat es einen meiner Balkongeister umgehauen. Eine Böe hat ihn erwischt. Hätte nie gedacht, dass ein ca. 40kg schwerer eingepackter Oleander sich so leichtfertig auf dem Gleichgewicht bringen lässt.

Das ist vor ca. 20 Minuten passiert, als ich am Telefon erfahren habe, dass es auch einen Freund von mir umgehauen hat. Er hat sich mit dem Covid 19-Virus angesteckt und es geht ihm nicht gut. Hätte nie gedacht, dass ein so lebensfroher Mensch sich aus dem gesundheitlichen Gleichgewicht bringen lässt.

Den Oleander habe ich nach 5 Minuten wieder neben seine Kollegen gestellt und ich hoffe, dass sie den angesagten Windböen standhalten.

Mein Freund liegt seit 9 Tagen flach und ich kann ihn nicht einfach so auf die Beine stellen. Ich hoffe, dass er es bald wieder selber schafft und die nötige medizinisch nötige Unterstützung bekommt.

Allein sein ist nicht lustig. Schon gar nicht, wenn es einem umgehauen hat. Ich wünsche ihm von hier aus alles Gute und wenn er etwas braucht, so werde ich das für ihn einfädeln. Das habe ich ihm versprochen.

Countdown 64, 28. Januar 2021

Der Max hatte eine schlaflose Nacht. Das freut mich. Der Max ist nämlich ein Freund von mir; ein guter und sehr langjähriger Freund. Wir haben zusammen die Werbeassistenten-Prüfung absolviert. Das war 1974. Meistens haben wir zu Dritt bei ihm zuhause auf die Prüfung gelernt. Er war damals mit Maggie verheiratet und die hat die besten Schinkengipfeli gezaubert – und jassen konnte sie auch. Das sagt eigentlich schon alles. Also wirklich gelernt haben wir nicht aber trotzdem die Prüfung bestanden. Er mit Bravour, ich mit blutigen Fingern, weil ich in der Hast bei meiner Adler-Schreibmaschine immer zwischen die Tasten gehauen habe. Marlies, die Dritte im Bunde, hat so gut abgeschlossen, dass sie später vom Hauptdozenten geehelicht wurde.

Jetzt ist es so, dass letzte Nacht der Max vor dem Einschlafen in meinem Buch «isch öppis» gestöbert hat und von Kolumne zu Kolumne geflogen ist bis er auf die Geschichte mit den Findusplätzli gestossen ist. Da hat ihn neben der Schlaflosigkeit auch noch der Hunger gepackt und er hat sich erinnert, dass genau solche Plätzli in seinem Tiefkühler der Verzerrung harren. Vom Heisshunger getrieben und mit dem Wissen, dass noch eine angebrochene Weinflasche auf dem Tisch steht, hat er die Findusplätzli tiefgefroren um ca. 04.30 Uhr in die Pfanne und anschliessend in seinen Mund gehauen.

Hätte er besser nicht gemacht. Denn nach der Schlaflosigkeit durch die Lektüre (was für mich ein Kompliment ist) bekam er auf einmal (was mich nicht verwundert!) Bauchschmerzen und konnte darum nicht einschlafen. Und so wurde es wieder langsam hell draussen. Das hat er mir gestern am Telefon, nach seinem wohlverdienten Mittagsschlaf erzählt. Er will das Büchlein seiner Tochter schenken, reisst jedoch die Seite mit den mutierten Findusplätzli raus, denn Valli ist berufstätig und kann sich eine schlaflose Nacht nicht leisten.

Countdown 65, 27. Januar 2021

Heute, respektive gestern – also heute, wenn ich das schreibe, gestern, wenn Sie das lesen – habe ich aus lauter Lust an der Freude mein buntes Hawaiihemd angezogen und mir einen Caipirinha gemixt. Die geschredderten Eiswürfel wurden durch vereisten Schnee aus dem Garten ersetzt, die Limetten durch Mandarinen, der Rohrzucker durch Holunderblüten-Sirup und der Cachaca durch Grappa. Sonst war alles original. Von der Strandbar haben mir nicht Girls in ihren Tangas und Bikinis zugewunken, sondern eher ältere Nachbarn in Daunenjacken und mit Masken, die mit ihren Hunden vor meinem Garten spazierten. Der Sound wurde nicht durch eine Sambaband intoniert sondern durch Männer von Grün-Zürich, die mit ihren Motorsägen ab- und angebrochene Äste aus dem Weg räumten.

Ein Caipirinha ist laut Betty Bossi der Hausdrink lebenslustiger Brasilianer. Heute war er eher der Wohnungsdrink eines lebensdurstigen Schweizers. Aber immerhin, so habe ich einen Tag an der Copacabana verbracht.

Morgen, also heute, wenn Sie das lesen, stülpe ich meinen Poncho über und setze den Sombrero auf. Wenn Sie Lust haben, können Sie mich in Zapopan (Mexico) besuchen, wo ich mit meinem Freund Emiliano Zapata Salazar, genannt «El Caudillo des Sur» die nächste Revolution bespreche.

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PS. El Caudillo des Sur hat am gleichen Tag Geburtstag wie ich. Roland Biggs, der berühmte Postzugräuber ebenfalls. Auch Roger Federer – der tut unserem Image aber keinen Abbruch.

Countdown 66, 26. Januar 2021

Wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, wird denen im oberen Stock der Boden unter den Füssen weggerissen. Dieser Dominoeffekt kann ja nicht der Zweck der Übung sein ... Wobei es leider keine Übung ist, sondern ein Ernstfall. Und der passiert rundum und ist eigentlich viel verheerender als die Pandemie als solches.

Countdown 67, 25. Januar 2021

Wie lange hat man doch am Abend, wenn man sich ins Bett legt, bis alle Kissen am richtigen Ort sind. Und wie lange dauert es Morgen, bis man sich aus diesen Kissen, die sich im Laufe der Nacht genau dem Körper angepasst haben, enthebt.

Countdown 68, 24. Januar 2021

Heute ist Sonntag und da darf man auch in bisschen gottesfürchtig werden. Es stellt sich ja immer die Frage, gibt es überhaupt einen Gott?

Sogar Bertolt Brecht hat sich mit dieser Frage beschäftigt und dazu die folgende kleine Geschichte geschrieben:

Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte: «Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott.»
© by Bertolt-Brecht-Erben / Suhrkamp Verlag 1995

Ob diese Erzählung Dir jetzt weiterhilft, kann ich nicht beantworten. Ich habe diese Zeilen aus einem Büchlein mit 113 einseitigen Geschichten, gesammelt von Franz Hohler, gekupfert. Wenn es einen Gott gibt, dann verzeiht er mir das. Wenn es keinen gibt, dann muss ich mich auch nicht fürchten, dass er mich deswegen belangt. So einfach ist das.

Countdown 69, 23. Janaur 2021

Er war den ganzen Tag allein. Abends als er sich ins Bett legte und das Licht löschte, verliess ihn sogar sein Schatten.

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Anmerkung der Redaktion: ... viel Glück ...

Countdown 70, 22. Januar 2021

Ich habe sehr viele gute Filme verpasst. In den letzten zehn Jahren bin ich nur noch selten ins Kino gegangen und jetzt rege ich mich auf, dass ich nicht ins Kino gehen kann. Der Fernsehapparat ist für mich eine Dokumentationskiste. Mir fehlen die Emotionen, die ein Film auf einer grossen Leinwand vermittelt.

Viele Filme, für die ich früher geschwärmt habe, sind in den letzten Jahren oft in Openair-Kinos gezeigt worden. Und ich muss sagen, es gibt nur ganz wenige Filme, die nach einer gewissen Zeit die Erwartungen nochmals erfüllt haben. So war zum Beispiel Easy Rider eine Riesenenttäuschung: Zwei Töffbubis, die mit ihre lächerlich umgebauten Harleys durch Amerika kurven, allerdings mit einem hervorragenden Soundtrack (Born To Be Wild u.v.a.). Es gibt aber auch Filme, die kann ich noch weitere zehn Mal anschauen und sie verlieren ihre Faszination nicht.

  1. AMMACORD von Federico Fellini
  2. DOWN BY LAW von Jim Jarmusch mit John Lurie, Tom Waits, Roberto Benigni
  3. HELLZAPOPPIN von Olsen und Johnson
  4. TO BE OR NOT TO BE von Ernst Lubitsch
  5. CITIZEN KANE von und mit Orson Welles
  6. THE GREAT DICTATOR von und mit Charlie Chaplin
  7. JOUR DE FÊTE von und mit Jacques Tati
  8. PULP FICTION von Quentin Tarantino
  9. DON CAMILLO alle Folgen
  10. I HIRED A CONTRACT KILLER von Aki Kaurismäki

Nach dem Lockdown werde ich wieder vermehrt ins Kino gehen, um neue Perlen zu entdecken. Was ich besonders schätze ist das Mittagskino.

Countdown 71, 21. Januar 2021

Wenn ich ein Buch zur Hand nehme, lese ich die ersten zehn bis zwölf Seiten. Dann lese ich die letzten zwei Seiten. Entspricht der Schluss meinen Vorstellungen, muss ich das Buch nicht mehr lesen, ich kenne die Geschichte ja. Entspricht der Schluss nicht meiner Vorstellung, dann ist die Geschichte wohl nicht so gut wie ich es mir vorstellte. Also muss ich das Buch auch nicht lesen.

Es passiert aber auch, dass mich eine Erzählung vom ersten Abschnitt an fesselt. Allein die Wortwahl, der Rhythmus des Textes oder die Beschreibung der ersten Handlung packen mich so, dass ich gar nicht auf die Idee komme den Schluss im Voraus zu lesen. Das sind dann vielfach diese Bücher, die ich gegen Ende ganz langsam lese, um das Vergnügen herauszuzögern.

Hier meine zehn Favoriten:

  1. JUNGER MANN von Wolf Haas
  2. DIE HUNDE BELLEN von Truman Capote
  3. DER RUINENBAUMEISTER von Herbert Rosendorfer
  4. EINE DEUTSCHE SUITE von Herbert Rosendorfer
  5. KINDERGESCHICHTEN von Peter Bichsel
  6. QUATEMBERKINDER von Tim Krohn
  7. WARUM DAS KINDE IN DER POLENTA KOCHT von Aglaja Veteranyi
  8. SCHLAFES BRUDER von Robert Schneider
  9. MATTO REGIERT von Friedrich Glauser
  10. DON QUICHOTTE von Miguel de Cervantes Saavedra

Mehr habe ich nicht gelesen, zumindest nicht so eindrücklich, dass sie mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben.

Countdown 72, 20. Januar 2021

Auf Grund meines gestrigen Beitrag habe ich Lust bekommen in den Archiven meines Gehirns zu stöbern und mir zu überlegen welche LPs/CDs, Bücher und Filme ich mit auf die einsame Insel nehmen würde. Und momentan bin ich ja auf einer einsamen Insel. So werde ich also in den nächsten 3 Tagen meine eigenen Hitparaden notieren:

Beginnen werde ich mit den CDs:

  1. ANIMALS: Before We Were So Rudely Interrupted
  2. JONIS JOPLIN: Cheap Thrills
  3. ELENI MANDELL: Miracle Of Five
  4. EMIL GILELS: Beethoven, 4. & 5. Klavierkonzert
  5. RY COODER: Paris Texas
  6. JOE JACKSON: Big World
  7. NOTTING HILLBILLIES: Missing
  8. ROLLING STONES: Stripped
  9. TOM WAITS: Night On Earth
  10. PAOLE CONTE: Tournée live

Es wäre jetzt vermessen, die Musik der einzelnen CDs zu beschreiben. Es ist einfach so: ich habe meine Lieblings-CDs, Du hast Deine und es lohnt sich, die wieder einmal hervorzukramen. Nicht einzelne Stücke, die man heute runterlädt, sondern ganze CDs. Da hat es Songs drauf, die Du schon lange vergessen hast – macht Riesenfreude. Viel Vergnügen.

Countdown 73, 19. Januar 2021

Peter Bichsel hatte kürzlich in einem Interview erklärt, dass er keine neuen Bücher mehr lesen werde. Er verbringt seine Zeit, die ihm noch zum Leben bleibt, lieber mit dem Nochmallesen alter Geschichten und Bücher, die ihm besonders gefallen haben.

Er ist für mich ein alter weiser Mann, der es versteht, seine Zeit auf bestmögliche Art zu nutzen: Sich freuen an Sachen an denen man sich früher gefreut hat, erachte ich als sehr sinnvoll. In der heutigen Situation ganz besonders. Mir geht es ähnlich – nicht, dass ich ein alter weiser Mann wäre –, ich höre vor dem Einschlafen oft Musik die ich besonders liebe. Zum Beispiel das 4. und 5. Klavierkonzert von Beethoven, gespielt von Emil Gilels oder die sagenhafte CD «Stripped» von den Stones. Bei «Love in Vain», tauche ich in eine andere Welt und lasse meine und auch die vielen anderen Probleme aussen vor. Ich habe auch wieder die uralten Comics (1905 bis 1927) «Little Nemo» von Windsor McCay neu entdeckt. Seine Träume im Slumber-Land sind so was von einmalig und grandios ...

Ist es nicht auch bei kleinen Kindern so, dass sie immer wieder die gleiche Gutnachtgeschichte hören wollen?

Nicht, dass ich mich der neuen Dinge verschliessen möchte aber es gibt so viele Sachen, die man in der stressigen Vergangenheit vernachlässigt hat, dass diese momentan aufgezwungene Entschleunigung eine richtige Wohltat sein kann ...

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Anmerkung der Redaktion:

Countdown 74, 18. Januar 2021

Warum haben Männer Brustwarzen? Ich könnte das jetzt meinen Hausarzt fragen, weiss aber nicht, mit wie vielen Taxpunkten eine Antwort verrechnet wird (ich habe schliesslich einen Selbstbehalt!) oder sonst jemand der Anatomie studiert hat. Bei Menschen, die in der Pubertät merken, dass sie im falschen Körper geboren sind und sich “umbauen“ lassen, macht das vielleicht noch Sinn. Die sehr kleine Anzahl dieser Gruppe rechtfertigt aber die Ausstattung von Brustwarzen bei Männern nicht. Man installiert ja bei Rollators auch keinen Auspuff, nur damit man sie später eventuell zu einem Gokart umrüsten kann.

Soviel ich weiss, hat ein Eber auch keine Zitzen oder ein Stier kein Euter. Da müsste man einen Zoologen fragen. Kenne aber keinen – nur jemanden, der mir tierisch auf den Keks geht. Das muss aber nicht unbedingt ein Zoologe sein.

Brustwarzen bei Männern haben ausser in der Sado/Maso-Szene keine Funktion. Alles was wir an und in unserem Körper haben, hat ja einen Sinn – sogar der Blinddarm, wie ich kürzlich gelesen habe. Ich weiss sogar, dass Männer an Brustkrebs erkranken können. Das ist schon erschreckend genug, hat aber sicher nichts mit den Brustwarzen zu tun.

Ich merke, mir wird dieses Thema unangenehm. Ihnen, verehrte Leser, vielleicht auch. Darum bleibt diese Frage (für mich) ungelöst und ich verdränge sie – wie so vieles andere auch.

Countdown 75, 17. Januar 2021

Jetzt sind wir vom Larifari-Slowdown wieder in den Lockdown gefahren. Weniger aus Überzeugung, viel mehr aus Vernunft oder dem Kompromiss zu liebe. Konkret heisst das: schliesse deinen Laden, öffne deine Sparbüchse ...
Ab Montag dürfen nur noch systemrelevante Waren verkauft werden. Wenn das in den USA so wäre, dürften dann dort die Waffengeschäfte noch offen haben? Aber wir sind in der Schweiz. Bei uns hat ja alles seine Ordnung. Zumindest mehr oder weniger, respektive in welchem Kanton man wohnt.

Countdown 76, 16. Januar 2021

Draussen ist es weiss. So weiss, dass ich nicht weiss, was ich schreiben soll.

Countdown 77, 15. Januar 2021

Sein Bubentraum war Pilot zu werden. Stundenlang spielt er heute noch auf seinem Computer mit dem Flugsimulator und pilotiert verschiedenste Grossflugzeuge rund um die ganze Welt. Gestern hat er mich freundlicherweise mit seinem 4x4 (kein Mensch weiss, warum es 4x4 heisst) nach Wildhaus chauffiert. Auch das Auto sieht innen aus wie das Cockpit eines Flugzeugs. Viele Bildschirme, Multifunktionsknöpfe, akustische Signale für alles und jenes und optische Anzeigen, die genau sagen wann, wo, wie steil, wie kalt, wie weit etc. etc.

Den ganzen Tag hatte es unaufhörlich geschneit. In Wildhaus lag ein Meter Neuschnee. Bei der Retourfahrt brauchten wir allein über den Ricken (von Wattwil bis Hinwil) über zwei Stunden. Trotz 4x4, neuen Winterreifen und dem ganzen Zeugs im Cockpit. Was nützt das alles, wenn es an solchen Tagen immer noch Autofahrer gibt, die mit Sommerpneus unterwegs sind: Zuerst ein polnischer Sattelschlepper, der mitten auf der Strasse schlapp machte und dann, Richtung Passhöhe ein Berner BMW, der seinem Kanton alle Ehre machte. Er war nicht direkt vor uns, aber in Sichtweite meines Chefpiloten. Ich weiss nicht, wie das ist bei den Flugzeugen – aber mit Autos kann man bei solchen Strassenverhältnissen nicht überholen. Ich konnte das sowieso nicht beurteilen, denn der Gummi des Scheibenwischers vor dem Beifahrersitz verhielt sich ungefähr so wie die Sommerpneus des Berner BMW – also ich war quasi im Blindflug. Aber Felix ist ein sorgfältiger Autofahrer und wir landeten sicher wieder in Küsnacht. Danke.

Countdown 78, 14. Janaur 2021

Ich werde mich sehr wahrscheinlich Impfen lassen obwohl ich in der Warteschlange nur etwa auf dem 2,5 millionsten Platz stehe. Es hat also noch Zeit. Ich bin froh, dass von der Swissmedic nun auch das Serum von Moderna zugelassen worden ist. Bei dem Mittel von Pfizer hätte ich irgendwie Angst, dass die bei der Produktion etwas verwechseln und ich nach dem Piks mit einem steifen Arm als Neonazi verhaftet werde.

Countdown 79, 13. Januar 2021

Mal was ganz Positives: ich bin negativ gestestet worden.

Das beruhigt ungemein. Eigentlich hatte ich Angst vor dem Test mit diesen Wattenstäbchen. Darum habe ich mich bei meinem Hausarzt nach den Speicheltest erkundigt, der ja überall in den Medien propagiert wird. Sein Labor sei noch nicht in der Lage diesen Test auszuwerten. Ich solle doch beim USZ nachfragen. Nach viermal weiterverbinden, erklärt man mir, dass das USZ diesen Test nicht mache, ich solle mich an ein Labor wenden. Man gab mir freundlicherweise die entsprechende Telefonnummer. Auch dort wusste man vom Test, aber nicht, wer und wie man ihn macht. Ich solle mich bei der Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich melden: Für Deutsch drücken sie bitte die 1, für andere Sprachen bitte die 2. Ich drückte die 1: Haben Sie Fragen zur Corona-Impfung, drücken sie bitte die 1. Haben sie allgemeine Fragen zu Corona, drücken sie die 2. Ich drückte die 2. Unsere Berater sind leider zur Zeit alle am Telefon, haben sie bitte Geduld – Clayderman – unsere Berater sind immer noch besetzt, bleiben sie am Apparat, sie werden so rasch als möglich verbunden – Clayderman – unsere Berater sind immer noch besetzt, bleiben sie am Apparat, sie werden so rasch als möglich verbunden – Clayderman – (ich mag das jetzt nicht noch sechsmal wiederholen). Eine richtige Stimme! – aber leider wisse sie nicht, wo man mit Speichelproben Tests machen könne. Sie gab mir die Telefonnummer des Ärztephones. Dort ging es subito, aber man teilte mir mit, dass man nicht wisse, wer solche Tests durchführe. Aber auf jeden Fall soll ich unbedingt zuhause bleiben, falls ich Symptome habe. Ich versuchte das noch bei der Notfallnummer des BAG. Ein netter Herr erklärt mir, dass er kein Arzt sei und mir leider auch nicht weiterhelfen kann und ich mich in meiner Wohngemeinde erkundigen soll. Aber ich soll auf jeden Fall zuhause bleiben und es sonst mal bei USZ versuchen ... aber in der Zwischenzeit unbedingt zuhause bleiben. Auch ein letzter Anruf bei einer Apotheke war umsonst.

Am nächsten Morgen, also gestern, versuchte ich es nochmals beim Hausarzt und meldete mich für einen normalen Coronatest an. Ich mag meinen Hausarzt gut aber als er über mein Nasenloch die Reste meines Gehirn suchte, war das mit dem gut mögen ziemlich am Ende. Das tut verdammt weh und ich bin sehr wehleidig. Nach drei Minuten war der Schreck vorbei und am Abend bekam ich vom Labor per Mail den Bescheid, dass ich negativ getestet worden bin.

Am Abend habe ich im Schweizer Fernsehen gesehen, dass im Bündnerland ganze Schulklassen mit dem Speicheltest getestet werden. Offenbar liegt das Bündnerland nicht im Kanton Zürich ... da haben die nochmals Schwein gehabt.

Countdown 80, 12. Januar 2021

Es ist eiszapfenkalt. So richtig Winter. Endlich wieder einmal. Es hat bei uns in Zürich jedoch zuwenig Schnee, um einen Schneemann oder gar einen Iglu zu bauen. Man friert aber an die Nase und wenn man nicht aufpasst, rutscht man aus und landet auf dem Füdli. Das ist in meinem Alter zwar nicht ungefährlich aber meistens amusant.

Man hat sich langsam an die Entschleunigung gewöhnt und geniesst es, nicht überall mit dabei sein zu müssen. Man hat so schön Zeit sich aufzuregen. Aufzuregen, dass das Staubsaugerkabel zu kurz ist, aufzuregen, dass der Compi immer wieder abstürzt, respektive sich nicht innert kürzester Zeit aufschalten lässt. Aufzuregen, dass man keine langen Unterhosen angezogen hat und sich aufzuregen, dass man keine aufregenden Geschichten mehr erlebt, um hier niederzuschreiben. Aber was soll’s? Soll sich doch der Leser aufregen, dass er diese Seite angeklickt hat und völlig unaufgeregt wieder schliessen kann, weil hier wirklich nichts Aufregendes gestanden hat.

Countdown 81, 11. Januar 2021

Die SJA (Swiss Jass Assoziation) hadert mit dem Ausdruck «Trumpf». Er sei zu nahe bei einem Politiker, der das Demokratieverständnis zu stark beschmutzt habe. Jassen ist eine durch und durch demokratische Angelegenheit, obwohl König und Dame auch ein subversives royales Gedankengut beinhalten. Aber eben, diese können durch das gemeine Volk (Bauer, Nell und Ass) ohne Impeachmentverfahren aus dem Verkehr gezogen werden.

Die SJA mit Sitz im Muotathal hat nun einen Wettbewerb ausgeschrieben, für einen neuen Begriff, der das Wort «Trumpf» ersetzen soll. Teilnahmeberechtigt sind ausschliesslich Deutschschweizer und, nach langem Hin und Her im Vorstand, auch Deutschschweizerinnen. Der neue Begriff muss erhaben und typisch schweizerisch sein. Zudem muss er auch in alkoholisiertem Zustand gut verständlich aussprechbar sein.

Die eingegangenen Vorschläge durchlaufen eine Vernehmlassung und werden dann in einem Sonderausschuss bestätigt. Der Gewinner oder die Gewinnerin wird zu einer Jubiläumausstrahlung des Samschtig-Jass ins Schweizer Fernsehen eingeladen und erhält von Ueli Maurer im Namen der vier Deutschschweizer BundesrätInnen eine Urkunde und einen zinslosen Überbrückungskredit, je nach Kanton früher oder später.

Countdown 82, 10. Januar 2021

Das Spannende am Schübelweiher in Küsnacht sind die vielen Tiere, das Gequake, das Geschnatter und das Bellen der Hunde. Gestern war der Weiher zugefroren und es hatte keine Tiere (ausser die Hunde). Die beiden Schildkröten haben sich schon im Oktober verabschiedet, die Graureiher sind weitergezogen und die Kröten und Frösche haben sich unter die Erde zum Überwintern eingegraben. Aber wo sind die Enten?

Der Weiher wird von zirka 30 bis 50 Enten bevölkert. Es sind verschiedene Rassen, von der ganz normalen Stockente über die Schellente (habe ich gegoogelt) bis hin zur prachtvollen Mandarinente. Wie bei uns Menschen am Kebabstand hat es auf und um den Teich immer mehr Männchen (Erpel, auch gegoogelt) als Weibchen. Es wird gebalzt, verjagt und das eigene Weibchen geschützt. Ich weiss nicht, ob Enten wie Gänse monogam leben oder ob sie ihrer Gattung alle Ehre erweisen?

Gestern hatte es keine Enten mehr. Wohin sind die verschwunden? Gut, der Adi hat mir von einer Pekingente erzählt, die er am Sylvester verspiesen hat. Aber eine Ente mehr oder weniger wäre nicht aufgefallen. Aber alle sind weg. Ich habe mich dann sogar ans Schilf getraut, um nachzusehen, ob sie sich dort zurückgezogen haben? Aber auch dort keine Enten. Vielleicht kann mir ein Ornithologe (musste ich nicht googeln, wusste ich selber!) sagen, wohin Enten verschwinden, wenn ihr Teich zufriert? Ich hoffe für diese Viecher auf ein Ente gut, alles gut.

Countdown 83, 9. Januar 2021

Die Schweizerische Nationalbank machte 2020 (im Krisenjahr!!) 22 Milliarden Gewinn und jetzt streitet man in der Schweizer Regierung, ob, wie und wann man 250 Millionen zur Abfederung von Härtefällen einsetzen soll.

Das Eine hat mit dem Anderen nichts zu tun, sagen Wirtschafts- und Finanzvertreter. Mal abwarten und Kompromisse suchen, meint der Bundesrat.

Ich glaube kein Land auf der Welt wäre so komfortabel in der Lage, strikte Massnahmen gegen die Verbreitung von Covid 19 zu erlassen und die wirtschaftlichen Folgen abzufedern. Aber man zögert und lässt bewusst viele Kleinunternehmer, Selbständige und Kulturschaffende in den Ruin schlittern.

Die Gesundheit steht an erster Stelle, verkündet der neue Bundespräsident Parmelin bei seiner Neujahrsansprache. Ich denke, er meinte die Gesundheit der Finanzwirtschaft. Oder habe ich da wieder mal etwas falsch verstanden?

Countdown 84, 8. Januar 2021

Der Blaskapelle meiner Frau Barbara ist der Schnauf ausgegangen. Sie dürfen nicht mehr miteinander üben und auftreten schon gar nicht. Mir fehlt der Kick, weil wir älteren Männer nicht mehr miteinander in der Halle Fussball spielen. Aber es geht nicht nur um den perfekt gespielten Steilpass oder die richtige Tonfolge bei einem Song. Es geht um die rein freundschaftlichen Zwischentöne in der Garderobe oder nach der Probe bei einem Glas Wein in der Küche. Der Schlagzeuger der Band kommt nicht zu spät und entschuldigt sich mit einer haarsträubenden Ausrede. Er kommt gar nicht. Martin, mein Fussballkollege jammert nicht, weil in seinem Haus in Südfrankreich dies oder das seit Jahren nicht funktioniert und die Handwerker unzuverlässig sind. Er bleibt zurzeit in der Schweiz und braucht keine Handwerker und auch keine neuen Fussballschuhe. Mein Freund Felix fährt nicht mehr nach Deutschland und erzählt mir, wie günstig Aspirin, Zahnpasta und Toilettenpapier ins Konstanz sind. Auch erfahre ich nicht, welche Filme im Kino ich unbedingt anschauen muss ... Es herrscht eine Art zwischenmenschlicher Kommunikationsriss.

Aber eigentlich geht es uns verdammt gut. Wir haben eine warme Wohnung mit fliessendem Wasser und das Internet funktioniert. Zudem erhalte ich eingeschriebene Briefe vom Steueramt. Ein Beweis, dass es mich noch gibt (rein administrativ). Zudem halten mich die laufenden Kosten für Krankenkasse, Versicherungen, Bankspesen etc. bei schlechter Laune. Und schlechte Laune zu haben, ist immerhin ein Privileg – andere Leute auf der Welt haben ganz andere Sorgen ... Seien wir doch froh, dass wir auf einem schönen Fleck der Erde leben dürfen, die Infrastruktur noch funktioniert und die Politiker nur bedingt korrupt sind.

Countdown 85, 7. Januar 2021

Wir wissen nicht, ob es so ist. Wir nehmen an, dass es so ist. Weil uns die uns vertrauenswürdigen Medien darüber so berichten und uns Joe Biden sympathischer ist. Auch den kennen wir nicht. Wir kennen ihn nur von den bereits erwähnten Medien.
Was ist, wenn Trump Recht hat? Das passt nicht in unser Denksystem – wir wissen auch nicht, ob die Wahlen in den USA von internationalen Wahlbeobachtern begleitet wurden? Ich habe nie etwas davon gehört.
Passiert das Gleiche mit einer uns unsympathischen Regierung und setzt die Opposition, die sich in der Wahl betrogen fühlt, ebenfalls zu Störaktionen bis hin zu Besetzungen wichtiger Regierungsgebäude ein, so solidarisieren wir uns damit. Und auch das nur, weil wir den unsrigen Medien glauben, ohne es wirklich zu wissen.
Ich möchte hier nicht falsch verstanden werden. Was Trump angerichtet hat, ist eine Riesensauerei. Aber eben, wir wissen das nur aus unserer Optik.
Das Volk in Ländern mit diktatorischen Regierungen kennt auch nur die Meinung der von uns aus gesehenen kontrollierten Medien. Vielleicht sind unsere Medien ja auch kontrolliert – wir wissen es nicht. Wir nehmen an, dass es nicht so ist. Aber eben, so richtig richtig wissen wir das nicht.

(in der Nacht auf den Donnerstag (MEZ) haben fanatische Anhänger des noch amtierenden US-Präsidenten Trump das Capitol gestürmt, um die Bestätigung von Joe Biden durch den Kongress zu sabotieren).

Countdown 86, 6. Januar 2021

Irgendwie paradox, sich am heutigen Tag eine Krone aufzusetzen.

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Illustration: Claudio Näf www.claudionaef.com

Countdown 87, 5. Januar 2021

«Verlieren heute in Georgia (USA) bei der Senatoren Stichwahl die Republikaner ihre beiden Senatssitze, verlören sie auch die Mehrheit im Senat». Originalton Schweizer Tagesschau.
Mich interessieren weniger die Mehrheitsverhältnisse in der Regierung der USA, vielmehr hat es mir das Wort “verlören“ angetan:
Klappt das in Zukunft mit dem Coronamanagement in der Schweiz nicht besser, verlören die Politiker immer mehr an Glaubwürdigkeit.
Gelingt es Christian Gross nicht das Ruder auf Schalke 04 rumzureissen, verlöre der Club die Mitgliedschaft in der 1. Bundesliga.
Zeigt meine Waage nach wie vor über 100 Kilo an, verlöre sie mein Vertrauen.

Ich habe dieses Wort noch nie gehört, geschweige denn in meinen Texten verwendet. Wobei ich möchte jetzt nicht mehr Zeit mit diesem wunderbaren Wort verlieren, sonst verlören meine Leser die Übersicht und ich verlöre meine Leser.

Für jene die in der Rechtschreibung frönen: Verlören ist der Konjunktiv II Präteritum des Verbs verlieren. Alles klar?

Countdown 88, 4. Januar 2021

Die Normalität hat uns wieder. Also nicht die normale Normalität, sondern die Normalität, an die wir uns im vergangenen Jahr gewöhnt haben. Wer meint, mit den unnormalen Festtagen sei nun alles vorbei, der sieht sich getäuscht. Wir müssen wieder funktionieren, nur fehlt die Bedienungsanleitung.
Es kommt mir so vor wie früher der Französischunterricht in der Sekundarschule. Wir lernten nie auf französisch zu kommunizieren. Wir lernten dafür alle unregelmässigen Verben in allen möglichen und unmöglichen Zeitformen. Momentan wird uns nicht gesagt, wie wir uns am besten verhalten – es wir uns nur gesagt, wie wir uns nicht zu verhalten haben. Wobei im Französischunterricht waren wenigsten die Regeln klar, zumindest für die, die diese verstehen wollten. Im Coronamanagement wechseln die Regeln tagtäglich und je nach Windrichtung in anderer Form.
Als Kampfrichter würde ich sagen, Corona führt nach Punkten. Der ungleiche Partner, oder besser gesagt Gegner, bestimmt sogar, wie viele Runden noch gespielt werden.

Countdown 89, 3. Januar 2020

«Happy Birthday» lieber ... – nein, das wäre unpassend. Er ist nicht der Happy-Birthday-Typ. – Im Gegensatz zu seinem quirligen Hund, der ein happy-happy-everyday-Typ ist – . Happy Birthday passt zum ihm wie eine Mickey-Mouse-Maske zu Willhelm Tell.

Nicht, dass er eine graue Amsel wäre. Im Gegenteil. Er ist ein bunter Vogel. Ich kenne keinen so in sich gekehrten Menschen, der sich so extravertiert zu kleiden mag, wenn er Lust hat. Heute hat der Zaunkönig Geburtstag. Zaunkönig warum? Weil unsere Kommunikation zurzeit hauptsächlich über den Gartenzaun stattfindet. Ich habe ihm auf Distanz gratuliert. Eigentlich hätte ich ihn lieber umarmt, weil er in vielen Sachen das Gegenteil von mir ist; ruhig, besonnen und hinterfragend.

Seit zirka vier Jahren verbindet uns eine schöne Freundschaft. Es begann auch am Zaun meines Gartens. Er bot mir als damals flüchtiger Bekannter an, mich zu einem unangenehmen Termin zu begleiten. Ich lehnte dieses Angebot ab, besann mich aber nach einer Stunde des besseren und telefonierte ihm, ob er das ernst gemeint hätte. So nahm ich also mit einem mir mehr oder weniger unbekannten Nachbar diesen Termin am Hallwilersee wahr. Es gibt Leute, die ganz uneigennützig und ehrlich spontan auch meinen, was sie sagen. Es war der Beginn einer für mich wunderbaren Vertrautheit.

Ich habe das Gefühl, dass dieses Jahr mit einem solchen Start eigentlich nur gut werden kann. Vor einem Jahr, also 2020, wusste ich noch nichts von seinem damaligen Geburtstag. Vielleicht hat er es mir damals nicht gesagt, weil er befürchtete, dass ich ihn umarmen könnte, und das war ihm irgendwie unangenehm. Darum von mir an dieser Stelle: Herzliche Gratulation.

Countdown 90, 2. Januar 2021

Ganz dumm ist, wenn man kurz vor Weihnachten einen eingeschrieben Brief vom Steueramt bekommt. Noch dümmer ist, wenn man diesen nicht öffnet. Am dümmsten ist es, wenn man ihn am 2. Januar öffnet: das eröffnet einem ganz neue Perspektiven, wie man aufs hohe Alter hin trotzdem noch kriminell werden könnte.

Solche Laueri wie ich sind das gefundene Fressen für angefressene Steuerbeamte. Mit den grossen Fällen kommen sie so oder so nie zum Erfolg. Wobei ich sagen muss, dass ich nicht einmal etwas falsch gemacht habe, ich habe lediglich etwas nicht gemacht, respektive nicht ausgefüllt. Nicht aus Bösartigkeit oder weil ich mir Vorteile verschaffen wollte sondern einfach, weil ich mich zuwenig mit der Materie beschäftigte. Formulare, die länger als zwei Seiten sind, gehören sowieso verboten.

Ich kann mir vorstellen, wenn der Herr Steuerbeamte Soundso 30 Fälle wie den meinen erfolgreich löst, kriegt er Bonuspunkte, die sich bei späteren Lohnerhöhungen auswirken. Nach zwei bis drei Jahren bekommt er im Büro einen Fensterplatz und irgend einmal darf er sich in der grossen Kunstsammlung des Kantons ein Bild aussuchen, um seinen Arbeitsplatz noch mehr aufzuwerten. So sind in der Stadt- und Kantonsverwaltung in den letzten Jahren übrigens mehrer Dutzend Bilder verschwunden, weil die Damen und Herren Soundso meinten, die Bilder gehören jetzt ihnen. Nicht aus Bösartigkeit oder weil sie sich einen Vorteil verschaffen wollten, sondern einfach weil sie sich mit der Materie der Bildausleihe zu wenig beschäftigten.

Countdown 91, 1. Januar 2021

Wir sind ins neue Jahr getanzt. Ganz allein für uns. In der Küche mit überlauter Musik. Das tat und tut verdammt gut. Und irgendwie stellte ich mir vor, dass mit uns alle Freunde auch tanzen. Vorher haben wir eine kleine Spritztour durch die stille Gegend gemacht. Im Radio lief «Nämed d’Stüehl weg, mir bruuche Platz für d’Bei» – das hat uns vielleicht inspiriert. Beim Tanzen kommt man nicht vorwärts, man dreht sich im Kreis. Man öffnet sich, hält sich bei der Pirouette nur noch an einer Hand, um sich dann beim nächsten Takt wieder ganz nah zu sein.
Wie gesagt, es tat verdammt gut und ich wünsche mir und allen Freunden, Nachbarn und Bekannten für 2021 viele solche Momente. Tanzen ist wie Fliegen, nur ohne Flugangst.

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Anmerkung der Redaktion:

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Forch in der Silvesternacht 2020. Foto: Barbara Schaub

Countdown 92, 31. Dezember 2020


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Foto 1993, Dave Brüllmann

«Ich vermisse Euch. Ihr seid zwar eine vorlaute, undisziplinierte und grobschlächtige Bande. Aber ihr habt Humor, Empathie und einen frohen Intellekt. Und ihr seid - jeder auf seine Art - Originale. Das fehlt in diesen Zeiten der Isolation.»
Walter

Mit diesen treffenden Worten verabschiedet sich unser Spielerpräsident vom alten Jahr. Und wie Recht er hat: Auf dass ich wieder mit undisziplinierten Freunden und Bekannten rumtoben kann. Ich freue mich auf 2021.

Countdown 93, 30. Dezember 2020

Vier finstere Gesellen schauen mir seit gut einem Monat über die Schulter wenn ich am Computer sitze. Um ihnen ein bisschen den Schrecken zu nehmen, habe ich sie Tick, Trick, Track und Tock genannt, nach den Neffen von Donald Duck. Der Tock scheint der Uneheliche zu sein und wird daher von Walt Disney verschwiegen. Aber auch mit diesen niedlichen Namen haben sie ihren Schrecken nicht verloren.

Jeden Morgen, wenn ich die Lamelle hochfahre, glotzen sie mir ins Wohnzimmer. Sie sind ca. 1 Meter 60 und in Emballage-Jute gehüllt. Je nach Windstärke bewegen sie sich an Ort, so, wie sie von einem Fuss auf den andern treten würden, weil es am Boden kalt ist, oder sie stehen stoisch vor meinem Fenster. Und das ist in der Morgendämmerung oder in den frühen Abendstunden ziemlich bedrohlich. Inzwischen habe ich sie etwas dekoriert mit Krawatte, Strohhut, einer alten Brille und einer roten Fasnachtsnase – ihren Schrecken haben sie nicht eingebüsst. Sogar dem Hund, der gestern zu Besuch war, waren sie unheimlich. Zuerst hat er sie angebellt und dann beim Verabschieden hat er Tock, den Unehelichen, angepisst.

Ich denke ich nehme wieder meinen alten Baseball-Schläger hervor und gehe, zumindest in der Dunkelheit, nur noch mit diesem auf die Terrasse.

Prinz Charles würde eher versuchen mit ihnen zu reden. Es sind meine in den Sommermonaten friedlichen Oleander, die jetzt eingepackt und vor Kälte geschützt auf Styroporplatten ganz nahe an meinem Terrassenfenster stehen.

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Anmerkung der Redaktion:
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Countdown 94, 29. Dezember 2020

Haben andere Religionen auch Engel oder sind die für uns Christen vorbehalten? In den Geschäftsberichten anderer Religionen sind ja teilweise die gleichen Figuren wie bei uns. Zum Beispiel Jesus: bei den Islamisten ist er nur ein Abteilungsleiter, für uns Christen ist er der CEO und Sohn des Chefs.

Engel waren für mich immer weiblich, obwohl es “der“ Engel heisst. Das kommt vielleicht daher, dass bei uns in der Schule immer die Mädchen beim Krippenspiel die Engel spielen durften. Mit weissen langen Nachthemden und goldigen Locken. Für uns Buben blieben dann noch die Rollen der Hirten übrig.

Ich habe noch nie einen Engel mit Bart oder mit Schnauz gesehen. Also, ich habe noch überhaupt nie einen Engel gesehen. Abgebildet schon. In Büchern, in Kirchenmalereien auf Wunschkarten oder in Todesanzeigen. Die sind aber immer blond, langhaarig und sehr mädchenhaft.

Wie ein Engel wirklich aussieht, weiss jedoch niemand. Denn auch jene, die behaupten, ihnen sei ein Engel erschienen, konnte diesen (oder eben diese?) nie beschreiben. Mehr oder weniger begabte Künstler haben dann diese Erscheinungen interpretiert. Immer so, wie sich das Volk einen Engel gerne vorstellt ...

Sind Engel auch von Ein- und Ausreisesperren betroffen und müssen sie auch in Quarantäne? Wie halten sie die Distanzregeln ein, gerade dann, wenn man sie wirklich bräuchte?

Countdown 95, irgendwann Ende Dezember

Die Tage sind kurz und haben keinen Namen. Die Abende sind lang und langweilig. Eine ältere Nachbarin hat mich gestern gefragt, welcher Wochentag denn sei. Ich konnte dies nicht spontan beantworten, musste zuerst nachrechnen. Aber eigentlich spielt es gar keine Rolle, ob Samstag, Sonntag oder Montag ist. Am Abend läuft immer entweder ein Zusammenschnitt der Helene-Fischer-Show oder die Konzerte von André Rieu auf dem grossen Platz von Maastricht. Auf gewissen Sendern laufen auch alte Tatort-Krimis. Das wärs dann. Die, die Netflix schauen, haben sowieso keine Orientierung – weder von Wochentagen noch von Tageszeiten.

In dem Haus, wo ich wohne, gibt es keinen Waschplan. Da könnte man sich wenigstens an der Fülle des Waschkorbes orientieren oder sich aufregen, dass man erst am Dienstag wieder dran kommt. Einen Briefkasten gibt es auch nicht zu leeren und die Tageszeitung erscheint auch schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr. Nicht einmal die Coronazahlen werden kommuniziert – ich habe nie gedacht, dass ich das einmal vermissen würde.

Offenbar findet zurzeit die Zeit nicht statt. Wenn meine Uhr nicht mit Batterie laufen würde, wüsste ich jetzt nicht, ob es schon zu spät oder noch zu früh ist. Zu spät oder zu früh für was?

Countdown 96, 27. Dezember 2020

Weil wir alle Geschenke schon ausgepackt haben, bleibt der heutige Beitrag eingepackt:

 

 

 

 

 

Christo (nicht Christus) lässt grüssen.

Countdown 97, 26. Dezember 2020

Wir leben in der Schweiz. Wir sind Eidgenossen. Unsere internationale Abkürzung heisst CH (Confoederatio Helvetica), bei Sportanlässen jedoch SUI oder SWI. Unsere Nationalflagge ist quadratisch. Alle anderen (ausser die des Vatikans) sind rechteckig und wir sind das einzige Land der Welt, das einsilbig (Schweiz) daherkommt. Ansonsten sind wir ganz normal – stolz auf unsere Demokratie, die wir nicht erfunden haben, sondern uns von Napoleon aufgezwungen wurde. Unser Nationalheld ist ein Kapuzenmann, den es gar nie gab aber auf dem Fünfliber abgebildet ist. Ihm wurde in Altdorf sogar ein Denkmal gesetzt.

Wir führen uns auf wie die Gallier bei Asterix. Wir haben aber keinen Zaubertrank jedoch viel viel Geld und sind das einzige Land der Welt, das seine Währung nicht stützen sondern schwächen muss. Dadurch haben wir noch mehr Geld, für Milliardenunterstützungen von sogenannten systemrelevanten Institutionen wie UBS und SWISS (to big to fail). Bei uns muss alles rentieren, sogar das allgemeine Gesundheitswesen.

Tote rentieren nicht, darum ist der Tod bei uns Privatsache. 2020 sind ca. 6500 (oder mehr) Personen an oder mit Covid-19 gestorben. Die Vereinigte Bundesversammlung hat sich am 9. November dazu bequemt, sich für eine Schweigeminute zu erheben. Sie dauerte genau 34 Sekunden. Dann gingen die Politiker wieder der Rendite nach.

Als Schweizer Eidgenosse und Angehöriger der Confoederation Helvetica bin ich beruhigt, als Einzelperson das weltweit höchste Durchschnittsvermögen von über 564’000 US-Dollar zu besitzen – rein theoretisch. Die quadratische Flagge, die man wenden und drehen mag wie mal will, passt irgendwie zu unseren Quadratschädeln.

Countdown 98, 25. Dezember 2020

Gestern Heilig Abend: Sieben Gedecke, ein Plüschtigerfell mit Kopf, keine Gäste und zu jedem Gang ein Trinkspruch jedes nichtanwesenden Gastes. So wunderbar und besoffen kann Weihnachten sein: Dinner for one 2020.

... aber eigentlich war es ganz anders.

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Anmerkung der Redaktion:

Siebenundfünfzigster Tag, 24. Dezember 2020

In 99 Tagen ist Ostern. Dann lassen wir 99 Luftballons steigen, färben 99 Eier und lassen den Osterhasen 99 Mal auf dem Karussell der Leichtigkeit drehen. 99 ist eine Glückszahl und der Countdown auf diesen wunderbaren Tag beginnt genau heute.

Sechsundfünfzigster Tag, 23. Dezember 2020

Wie und wo würde das Christkind 2020 wohl geboren werden? Um der Dramatik gerade den richtigen Schwung zu geben, höchstwahrscheinlich in einem Flüchtlingslager zwischen Syrien und der Türkei, nachdem seine papierlosen Eltern schon zweimal an der EU-Grenze abgewiesen worden sind. Der Stall wäre ein heruntergekommenes Zelt des roten Halbmonds und die Krippe eine kaputte rote Rettungsweste. Weil es keine Schafe hätte, hätte es auch keine Hirten, sondern Bewachungssoldaten einer Lager internen Gang. Der Stern von Bethlehem wäre ein Helikopter des türkischen Militärs, der in der Nacht mit Scheinwerfern das Camp nach Kurden absucht. Die drei Könige wären UN-Beauftragte, die die minimalsten Bedingungen der Menschenrechte prüfen wollten aber nicht fanden.

1500 Jahr später, die Welt hat sich völlig neu installiert, steht an der Stelle des Zeltes eine Kathedrale mit goldenen Pforten, die Basilika Corona, weil der Überlieferung nach, dieser neugeborene Christus die Menschheit von der damalig weltumspannenden Pandemie erlöst hat. Dass es ein Serum war, das zur gleichen Zeit geimpft worden ist, geht in der Geschichte vergessen. Diese Geschichte wird auch erst ca. 600 Jahr später zum ersten Mal so niedergeschrieben und der Evangelist beschreibt ihn auch nicht als Gottes Sohn sondern als dessen Urenkel. Die in der Zeit dazwischen aufgetauchten Erlöser haben sich alle als Fake News entpuppt.

Fünfundfünfzigster Tag, 22. Dezember 2020

Wir, das heisst in erster Linie die Politiker, schwanken ja seit der Coronakrise immer zwischen Wirtschaftlichkeit und Gesundheit. Mal schlägt das Pendel auf diese Seite, mal auf die andere.

Man könnte das ja ab kommendem Januar miteinander verbinden: das sogenannte Corona-Toto. Bis 17 Uhr am Vortag könnte man die Neuinfektionen, die Spitaleinweisungen und die Todesfälle auf einer Plattform im Internet schätzen. Als Referenzzahlen gelten die offiziellen Zahlen des BAG. Wer alle Zahlen genau trifft (Neuinfizierte, Spitaleintritte und als Zusatzzahl Todesfälle) erhält ein Jahres-Generalabo für alle ÖV in der Schweiz (inkl. Bergbahnen in Graubünden und Wallis). Bei zwei von drei Richtigen gibt es eine 6er Schachtel Coronabier. Die Preise werden von Ruth Humbel oder Natalie Rickli persönlich übergeben.

PS. Teilnahmeberechtigt sind alle in der Schweiz gefährdeten Personen ab 18 Jahren. Mitarbeitende des BAG, des Gesamtbundesrates, der Gesundheitsdirektionen der Kantone und deren Familien sind von der Teilnahme ausgeschlossen Die Gewinner werden direkt benachrichtigt. Über das Toto wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Vierundfünfzigster Tag, 21. Dezember 2020

Was macht eigentlich der Toni? Toni who? Keine Ahnung. Ich weiss weder wie er mit ganzem Namen heisst, noch kenne ich seinen Wohnort, seine Telefonnummer noch seine E-Mail. Es ist einfach der Toni. Wir begegnen uns seit über 40 Jahren. Ich weiss nichts von ihm, er nichts von mir und jedes Mal haben wir uns gefreut, wenn wir uns auf der Strasse, meistens im Niederdorf getroffen haben.

Seit knapp einem Jahr sehe ich Toni nicht mehr. Sein fröhliches Gesicht zeigte mir immer, dass “alles“ in Ordnung ist. Dem Toni per Zufall zu begegnen war/ist immer ein gutes Omen. Wenn ich ihn längere Zeit nicht gesehen hätte, hätte ich andere Leute gefragt: «Was macht eigentlich der Toni?». Nicht, dass es mich tatsächlich interessiert hätte, es wäre mehr so eine Frage; ist die Kirche noch im Dorf?

Nach engen Freunden erkundigt man sich. Man ruft sie an oder sie melden sich. Nach Toni erkundigt man sich nicht, man vermisst ihn einfach.

Dreiundfünfzigster Tag, 20. Dezember 2020

Küsschen, Küsschen, Küsschen – ich hätte noch ca. 1000 Küsschen auf Lager, die ich dieses Jahr gespart habe. Aber eigentlich kommt mir das ganz entgegen. Ich schätzte zwar Umarmungen aber die ewige Küsschen-Küsschen-Küsschen-Mentalität ist für unser Alter nicht mehr passend. Wer küsst schon gerne einen alten Mann? Da muss man jetzt mal ganze ehrlich sein. Schon früher, als mich die Tanten und Grosstanten küssen wollten, habe ich sie angespuckt. Kinder müssen ihre Uralt-Verwandten küssen. Und uralt für Kinder sind Erwachsene ab 30. «Gib im Tante Emmi no es Küssli», wäki pfui! Das war ungefähr gleich unangenehm, wie wenn meine Mutter mir mit ihrem Taschentuch und einem kleinen Speuz drauf den verschmierten Mund putzte. Es gab nichts Widerlicheres. Das war die Glace nicht Wert, die ich vorher geniessen durfte.

Ich schätze zwar Hunde, das weiss man inzwischen. Aber wenn die meinen, sie müssten mir ihre Zuneigung durch eine Zungenschlarp über mein Gesicht bekunden, hört meine Hundeliebe auf.

Dieser Körpersäfteaustausch mag ja für Verliebte recht sein, im sozialen Kommunikationsaustausch haben sie für mich nichts verloren. Ich freue mich, wenn ich gute Bekannte wieder umarmen darf, wenn man mir beim Spazieren wieder einhängt oder man sich wieder anständig die Hand schütteln darf.

Darum lege ich meinen Küssschen-Küsschen-Küsshen-Vorrat nicht auf Lager, sondern entsorge ihn als Sondermüll.

Zweiundfünfzigster Tag, 19. Dezember 2020

Gestern habe ich eine Neujahrkarte von Dave und Catherine erhalten mit dem wahnsinnigen Spruch von Karl Valentin:

... und wenn die stille Zeit vorbei ist,
wird es auch wieder ruhiger
.

Einundfünfzigster Tag, 18. Dezember 2020

51. Tag – eine magische Zahl. Der erste Lockdown dauerte genau 51 Tage, vom 17. März bis zum 11. Mai 2020. Der zweite Larifari-Slowdown dauert jetzt auch schon 51 Tage, hat aber nichts gebracht. Die Fallzahlen sind auf sehr hohem Niveau stabil, die Spitäler nach eigenen Angaben am Limit und die Toten sind nach wie vor Privatsache. Den Leuten mangelt es nicht an Eigenverantwortung, es mangelt an Orientierung. Die Medien schüren die Angst, die Politiker widersprechen sich und ändern tagtäglich regional, kantonal oder national die Änderungen. Ich persönlich halte viel von unserem föderalistischen System: Es hat total versagt. Gesundheit muss rentieren. Bei uns muss alles rentieren. Das ist ganz tief in unserem Denken fixiert.

Die Politik hat es in der sommerlichen Pandemiepause verpasst, das Land und die Institutionen auf eine zweite Welle vorzubereiten. Der Ruf nach besseren Arbeitsbedingungen und anständigen Löhnen für die Pflegenden ist sehr schnell verhallt. Die technischen und logistischen Voraussetzungen für ein effizientes Contact Tracing wurden verschlafen.

Die von uns gewählten Politiker sind Schönwetterkapitäne, sprechen vom Licht am Ende des Tunnels und merken nicht, dass unser Zug schon seit langer Zeit still steht. Nicht, weil die Lokomotive zuwenig Kraft hätte, sondern weil die Geleise im Tunnel nicht verlegt worden sind.

Fünfzigster Tag, 17. Dezember 2020

Mein Briefkasten ist wie ein Adventskalender. Jeden Tag, wenn ich im Dezember das Türchen öffne, bin ich überrascht. Und manchmal läutet der Briefträger – und dann ist es ein Eingeschriebener. So wie heute. Absender: Steueramt ...

Ansonsten wechseln die Inhalte wie das Wetter: Die Rechnung für das erste Halbjahr der Krankenkasse (da muss man ja krank werden!), eine Parkbusse der Polizei, ein Weihnachtskärtchen der Bank, unterschrieben von jemandem, den ich noch nie gehört, geschweige denn gesehen habe. Am gleichen Tag auch die Belastung für das Depot des Banksafes ... Ein liebevolles persönlich geschriebenes Neujahrskärtchen einer Bekannten, die ich zu Coronazeiten vernachlässigt habe. Ein Kugelschreiber der Carrosseriewerkstatt. Die Rechnungen der neuen Versicherungsprämien mit unzähligen Erklärungen, die ich sicher nicht lesen werde und es dann bereue, wenn mal ein Versicherungsfall eintreten sollte. Die Rechnung 2021 für das Laternenparking, ein Couverts mit leider verbrösmeleten Guezzli, witzige Zeilen von Berufs- und Fussballkollegen. Ein Abholschein, der sich dann am Postschalter als Panettone eines Druckers entpuppt. Neujahrskarten mit Familienfotos, damit man sieht, dass es anderen auch gut geht (ich mag das denen gönnen), Bettelbriefe verschiedenster Hilfswerke – teilweise rührend, teilweise penetrant. Ein Zettel der Post, die mich darauf hinweist, dass ich offenbar ein Paket zuwenig frankiert habe und die mich nun bittet, dieses mittels beigelegter Karte mit Porto von 2.60 Franken in den Postbriefkasten zu werfen (man überlege sich die Effizienz!). Ein Zeitungsausschnitt mit einer persönlichen Bemerkung eines mir lieben Nachbars. Das Highlight dieser Woche war jedoch das Panorama-Röntgenbild meines Kiefers. Da freue ich mich echt wieder, wenn ich mich im Spiegel betrachte ...

Die einzelnen (wobei es waren nicht einzelne sondern jeden Tag ein Schwarm) Flyer und Broschüren, mag ich jetzt nicht aufzählen. Sie landen jeweils direkt im Altpapier. Den Kleber «Stopp. Bitte keine Werbung» mag ich trotzdem nicht an den Kasten kleben. Erstens halten sich die politischen Parteien nicht daran (die halten sich an gar nichts, höchstens an ihre Ideologie), und zweitens, war vor ca. 8 Jahren einmal eine Tafel Schokolade als Werbung im Briefkasten. Diese Aktion möchte ich keinesfalls verpassen, sollte sie sich wiederholen.

Neunundvierzigster Tag, 16. Dezember 2020

Am 6. August sind wir noch auf dem Mäuerchen vor der Tierarztpraxis gesessen. Er legte seinen Kopf auf meinen rechten Oberschenkel. Wir taten beide so, als wäre alles ganz normal. Ein halbe Stunde später habe ich der Ärztin zugenickt.

Würde ich diese Zeilen jetzt mit der Feder auf ein Papier schreiben, würde die Tinte verlaufen ... Ich schäme mich meiner Träne nicht. Er war mein Freund und ist mir sogar gefolgt, als ich ihn ins Jenseits beförderte.

Gestern habe ich seinen Hundenapf, der 4 Monate auf der Terrasse stand, entsorgt. Der Abdruck seiner Schnauze am Glas der Balkontüre bleibt.

PS. Das hat jetzt nicht der Werbetexter geschrieben.

Und nachfolgend eine Prosa, die uns die Julka geschrieben hat. Sie hatte ihn jeweils gehütet:

Augen dazwischen wo man sie eigentlich nicht sieht
und der Blick
Der an manchen Tagen nur noch gegen die Wand fährt

Die Treue, die dir immer vor die Beine läuft
Und dir Wut bereitet
Immer da wo man dich gerade nicht braucht

Ich fluche
Und fluche
Aber will trotzdem immer, dass du da bist

Ich sitze gern mit dir zusammen
Auf dem Berg und warte einfach nur

Darauf, dass uns einer abholt
Oder eben keiner.
Weil zu zweit, zusammen ist auch immer okay

Hündli

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Anmerkung der Redaktion:
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Achtundvierzigster Tag, 15. Dezember 2020

Ein Freund von mir hat mich angerufen und mich darauf aufmerksam gemacht, dass wir nicht letzte Woche, sondern vorletzte Woche – also ab heute gezählt vorvorletzte Woche – zusammen Pétanque gespielt haben. (Beitrag vom 13. Dezember)

Mein Cousin aus Schaffhausen gibt mir per Mail den Tipp, die Packung des Sicherheitsverschlusses der Listerine-Mundspülung mit einer Nagelschere zu öffnen. (Beitrag von gestern). Für Nagelbeisser wie mich ist das nicht einfach – heisst das konsequenterweise, dass Leute ohne Nagelschere Mundgeruch haben?

Barbara korrigiert mich bei der Farbnennung ihres Fixleintuchs (Beitrag vom 12. Dezember) und sagt mir noch so nebenbei, dass ich es sei, der den Hauptteil der Matratze beanspruche, und dass, wenn ich mich wende, sie jedes Mal bis zur Decke hochspicke. Wobei, das kann nicht sein, denn dort hängt ihre selbstdesignte Lampe und die hätte den umgekehrten Aufschlag (von unten nach oben!) meiner Frau nie unbeschadet überstanden.

Ich staune, wie genau meine Beiträge gelesen werden und fühle mich auch ein bisschen geehrt. Denn eigentlich haue ich nur so in die Tasten und mit der Wahrheit nehme ich es nicht wahnsinnig genau. Hätte ich es beim Schreiben jeweils genau genommen, wäre ich nie Werbetexter geworden.

Siebenundvierzigster Tag, 14. Dezember 2020

Irgend einmal hatte ein kluger Kopf die Perforation für Papier oder für Kunststoffe erfunden. Normalerweise wird eine kluge Erfindung weiterentwickelt und im besten Fall perfektioniert. Nicht aber die Perforation oder andere Verschlussarten. Hast du schon einmal ein Parmesansäcklein geöffnet, ohne dass der halbe Inhalt auf dem Tisch, dem Boden oder im Schüttstein gelandet ist? In Sachen Verpackungen gibt es aber auch löbliche Ausnahmen: Eierkartons, Senftuben, Autotüren und Bügelverschlüsse bei Bierflaschen.

Dieses Abrissdebakel verfolgt mich ununterbrochen. Es gelingt mir nie, eine Alufolie sauber von der Rolle zu trennen (ich kenne auch niemanden, dem das gelingt!). Das Gleiche gilt für die Klarsichtfolie oder für die Haushaltpapierrolle. Auch schaffe ich es nie Feuchttüchlein einzeln aus der Box zu nehmen oder eine Büchse Tomatenpüree mit der dafür vorgesehnen Lasche zu öffnen. Ganz zu schweigen von den Plisterpackungen, die die Waren (Zahnbürsten, Leimtuben, Batterien uva.) so verführerisch präsentieren.

Warum ich das Ganze erzähle? Weil ich es nicht schaffe, die Sicherheitsfolie vom Sicherheitsdeckel der Listerine-Mundspülung zu entfernen. Nicht nur, dass meine Finger zu klobig sind, auch entdecke ich trotz Brille den Aufreisscoupon nicht. Packungen sind offensichtlich nicht da, um geöffnet zu werden sondern um ungeduldige Leute wie mich zu ärgern.

Sechsundvierzigster Tag, 13. Dezember 2020

Die Tage öden einander an. Eigentlich sind es Geistertage, wie die Fussballspiele Geisterspiele sind und die noch offenen Restaurants Geisterlokalitäten. Sogar die Hundespaziergänge werden zu Geisterspaziergängen, da seit neustem behauptet wird (lustigerweise sind solche Behauptungen immer mit einer wissenschaftlichen Arbeit einer bis anhin absolut unbekannten Universität hinterlegt), dass unsere besten Freunde das Virus übertragen können, ohne daran selber zu erkranken. Hundehalter sind laut dieser Studie um 78 Prozent gefährdeter, sich mit dem Virus anzustecken.

2020 wird sowieso als das Jahr der Statistiken eingehen. Kulturell ist eigentlich nichts passiert. Kriege tümpeln mit grossem Elend vor sich hin, den Klimaaktivisten ist der Wind aus den Segeln genommen worden und politisch wursteln die Mächtigen und Möchtegernmächtigen weiter, um noch mächtiger zu werden. Ohne Rücksicht auf Land und Leute.

Habe ich jetzt heute einfach einen schlechten Tag oder gehöre ich zu den 43,5 Prozent der Schweizer, die mit Bangen in die Zukunft blicken? 21 Prozent sehen mit Hoffnung in die Zukunft und 35,5 Prozent haben sich noch nicht entschlossen.

Letzte Woche habe ich Pétanque gespielt. Meine Treffsicherheit hat meine Laune nicht unbedingt verbessert aber ich habe gelernt, dass auch hier strikte Regeln gelten. Aber die sind zumindest konsequent.

Fünfundvierzigster Tag, 12. Dezember 2020

Wir haben für das Bett meiner Frau eine neue Matratze gekauft. Eine mit einem Spring-Box-Kern. Es ist erstaunlich, mit welchen Argumenten die Matratzenverkäufer ihre Schlafunterlagen verkaufen ...

Barbara hat dann zu meiner Überraschung auch gleich noch ein neues Fixleintuch online bestellt. Eines, das zu den Vorhängen passt. So eine Art Melonen-Orange, eher schon Melonensirup-Orange. Aber es passt zu den Vorhängen und auch zum Lichtkonzept im Schlafzimmer, bestehend aus einer selbstdesigneten Deckenlampe – ein ehemaliges Schlagzeugbecken eines ehemaligen Freundes und kleinen Tischlämpchen mit alten Glühbirnen. Sie setzt grossen Wert auf Harmonie in Materialien und Farben. Das ist ihr sehr wichtig.

Das einzige Problem bin jetzt ich. Ich passe farblich nicht mehr ins Bett. Platzmässig schon, denn sie lässt mir von der 1 Meter 60-Breite immer gut 60 Centimeter und meistens kann ich auch einen Zipfel des Duvets für mich beanspruchen, zumindest bis sie sich jeweils dreht.

Ich frage mich jetzt natürlich, ist das ein Problem, welches wir mit einem Paartherapeuten besprechen sollten oder ist das eher die Sache einer Stylberaterin. Ich bin in der Zwickmühle, aber ich muss das irgendwie lösen, bevor sie sich einen farblich passenden Partner sucht.

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Anmerkung der Redaktion: Das Leintuch ist in einem zarten Apricot - mit einem Hauch Melone vielleicht ...

Vierundvierzigster Tag, 11. Dezember 2020

Wie der Bundesrat heute verlauten liess, hält er am Datum fest: Weihnachten ist dieses Jahr am Freitag, 25. Dezember. Alles andere liegt in der Eigenverantwortung des Einzelnen. Also nicht ganz alles: Die Alkohol-0,25-Promille-Grenze beim Autofahren bleibt. Spielt aber keine Rolle, da man sowieso nirgends hinfahren kann. Gefeiert im herkömmlichen Sinn wird nicht. Weder in einem Restaurant – das ist nämlich geschlossen – noch zu Hause im grösseren Familien- oder Freundeskreis. Fiktive Haushaltzusammenlegungen oder kurzfristige Zwangshochzeiten, um diese Vorschrift zu umgehen, sind nicht gestattet.

Die Krippe unter dem Weihnachtbaum ist so zu gestalten, dass nicht mehr als 5 Personen aus höchstens 2 Familien auf dem Set sind. Da Maria und Josef in wilder Ehe leben, dürfen höchstens noch 3 weitere Figuren anwesend sein. Kinder, auch Jesuskinder, unter 12 Jahren sind von dieser Massnahme befreit. Also zum Beispiel 2 Hirten und 1 Engel. Der Engel kann aber auch weggelassen werden, oder in nötiger 2 Meter Distanz an der Zimmerdecke montiert werden (falls er nicht selber fliegen kann –mit einer Drohne zum Beispiel). Dann wären noch 2 Könige möglich. Aber welche? Melchior wegzulassen, wäre rassistisch. Gut, man könnte einfach sinnbildlich einen Dubler-Mohrenkopf neben die Krippe stellen – das gäbe zusätzlich eine Symbiose zu den Schokoladenmäuschen, die am Baum hängen. Ist aber politisch nicht ganz korrekt.

Und dann ist ja da noch der Owi aus dem Weihnachtslied Stille Nacht, zweite Strophe: «Stille Nacht! Heilige Nacht! Gottes Sohn, Owi lacht ...». Der Owi gehört dazu. Wenn man ihm jedoch eine Hygienemaske anziehen muss, sieht man nicht, dass er lacht.

Also: Jesus in der Hauptrolle, Maria und Joseph als beste Nebendarsteller. 1 Engel mit einer Drohne um den Baum rotierend, 1 Hirte (oder vielleicht einer aus der Gewerkschaft, der alle anderen Hirten vertritt), 1 König (ich würde Caspar nehmen, den kann man später auch als Geschenk ins Kasperlitheater integrieren), 1 Dubler-Mohrenkopf und eben Owi mit Gesichtsmaske.

Dreiundvierzigster Tag, 10. Dezember 2020

Wieder mal eine Quietschente mit in die Wanne nehmen, beim Staubsaugen laut singen (nur wenn man alleine ist) oder Wohnungsgolf spielen. Das geht so: Man bestimmt ein Ziel, zum Beispiel einen Papierkorb. Dann nimmt man zwei zusammengestülpte Socken und versucht, den Knäuel mit möglichst wenigen Handschlägen im Ziel zu versenken. Mit der linken Hand aufwerfen, mit der rechten Hand wegschlagen – oder umgekehrt für Linkshänder. Das Ziel muss natürlich möglichst weit vom Abschlag entfernt sein. Also Papierkorb im Schlafzimmer, erster Abschlag in der Küche. Je mehr Türen und Ecken oder Treppen dazwischen stehen, desto spannender. Das kann man alleine machen oder auch mit Kindern, Wohnungspartnern etc. Es ist zehnmal lustiger, als vor der Glotze oder dem Handy zu hocken. Zudem ist es eine willkommene Abwechslung zum Homeoffice, lockert den Geist sowie die Glieder und trotzt dem Alltag. Wenn deine Mitbewohner meinen, das sei ihnen zu kindisch, dann sollen sie es eben sein lassen und weiterhin Kafka lesen.

Zweiundvierzigster Tag, 9. Dezember 2020

Mir fehlt zurzeit die Kraft, um trotzig zu sein. Dabei bräuchte es heute gerade dies. Trotzig gegen das Ungemach. Ich bin zu nett geworden. Das passt mir nicht.

Ich liebe trotzige Menschen. Menschen, die mit Humor trotzig sind. Menschen, die sich aus dem Fenster lehnen und nach den Wolken greifen. Menschen, die auf den Tisch klopfen. So stark, bis das Glas runterfällt und sie sich amüsieren, dass sie sich jetzt mit Rotwein vollgekleckert haben. Es gibt Menschen, die «Brücken bauen». Diese braucht es sicher. Mir passen aber mehr jene, die neben der Brücke Anlauf nehmen, um über den Bach zu springen. Meistens schaffen sie den Sprung nicht und landen im Nass. Wunderbar. Und das nächste Mal versuchen sie es wieder.

Der dümmste Spruch den es gibt, lautet: «Wenn das alle machen würden!». Ich denke es gibt viel zu wenige, die der Norm trotzen. Damit meine ich ganz klar nicht Leute, die die Coronakrise verharmlosen und Verschwörungstheorien aufbauen. Ich meine Menschen, die trotz den Einschränkungen dem Leben das Positive abtrotzen.

Wenn ich einmal ein Buch schreiben sollte – ein richtiges, aber keine Angst ich will und kann das nicht – so hätte ich zumindest einen Titel: TROTZ DEM

Einundvierzigster Tag, 8. Dezember 2020

Es hat immer ein bisschen zu viel. Zu viele Skifahrer an der Talstation in Verbier, zu viel Schnee in St. Moritz, um das Damenrennen durchzuführen. Zu viele Neuinfektionen, um die Massnahmen zu lockern. Zu viele Kantone, um sich in der Schweiz einig zu werden. Viel zu viele Sitzplätze in den Fussball- und Eishockeystadien, zu viele Events, die nicht stattfinden können. Zu viele Akteure und Künstler, die langsam am Hungertuch zerren. Zu viele Firmen die trotz Staatsunterstützung grosszügige Boni und Dividenden auszahlen. Zu viele Freunde und enge Verwandte, um gemeinsam Weihnachten zu feiern. Zu viele Pakete auf den Postverteilungszentren. Zu viele Schwalben, die den Abflug in den Süden verpasst haben. Zu viel Staub in meiner Wohnung. Zu viele Kalorien bei den Speisen, die wirklich schmecken. Zu viele Formulare bei der Steuererklärung. Zu viele Tastenkombinationen beim Compi, die man kennen sollte. Zu viel Wasser in der Badewanne und dadurch auch zu viel Wasser auf dem Badezimmerboden, wenn man in die Wanne plumpst. Zu viele Gebühren beim Bankkonto. Zu viele gebrauchte Masken auf den Trottoirs und in den Strassengräben. Zu viele Lobbyisten im und um den National- und Ständerat. Zu viele Medienmitteilungen, die einem verunsichern.

Jetzt höre ich auf, sonst wird es zu viel.

Vierzigster Tag, 7. Dezember 2020

Zoge am Boge de Landamme tanzäd
wie dr Tiifel d’Tili dure schwanzäd.
Dülidülidü pfift s’Klarinett
Hitte gemmer nid id s’Bett.

Refrain:
Jüpelidü und Zötteli dra.
Nur immer scheen de Wände na

Sepp, nimms Vreneli rächt a di ane,
heb di am Rock wie anere Faanä,
nimm’s rächt züeche und heb’s ume Büüch,
hit wird tanzäd, hit gahts rüüch.

Refrain

Bedälä, cheibä, tanzä und schwitzä,
d’Tschöpä abzieh und d’Ärmel umelitzä,
Hitä tanzäd dr Jung und dr Alt,
d’Süü und dr Bock und dr Stier und s’Chalb

Refrain

Und wenn’s dr Pfarer nid mag liide,
gänd em en alti Kafimili z’triibe,
wer nid tanzä und bedälä cha,
dem trüüräd wänn’s ne butzt kei Tiifel derna

Refrain

(Albert Jütz, * 27. Juni 1900, † 9. Juli 1925)

Nur, damit wir es nicht ganz vergessen: Tanzen macht Spass. Früher waren Tanzanlässe in der Adventszeit vielerorts verboten. Heute, 2020, sowieso.

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Anmerkung der Redaktion:

Neununddreissigster Tag, 6. Dezember 2020

Ich habe die Welt neu erfunden. Übrigens schon mehrmals!

Ich liege im Bett, schlafe nicht mehr so richtig, wach bin ich aber auch noch nicht. Mein Gehirn ist noch im Modus irrational. Farben, Dimensionen und Örtlichkeiten oder Zeiteinordnungen haben noch freien Auslauf. Reale Dinge und Personen werden wild aufgemischt und mutieren unaufhörlich ohne Drehbuch. Langsam, wobei auch diesen Zeithorizont kann ich im Nachhinein nicht mehr eruieren, wird mein Halbschlaftraum bewusster und gleichzeitig verschwommener ...

Wenn ich dann fast ganz wach daliege, habe ich das Gefühl, eine neue Weltlösung gefunden zu haben. Die Lösung von was? Ich versuche mich, jeweils wieder in den Halbschlafmodus zu begeben, mit der Absicht, dieses grandiose Erlebnis oder diese fantastische Entdeckung nochmals Revue passieren zu lassen und die Abläufe in mein beschränktes Repertoire des rationalen Denkens einzuordnen. Das gelingt jedoch nie.

Vielleicht war es eben trotzdem nicht so fulminant oder die wagen Erinnerungen mit vielen Filmrissen zeigen auf, wie beschränkt wir mit unseren rationalen Gedanken umgehen können.

Kurzum; ich hatte heute Nacht einen wahnsinnigen Traum und wollte ihn jetzt für den Rest der Menschheit niederschreiben. Aber aus dem wird wohl nichts.

Ich werde den Wassertopf aufsetzen und mir einen Tee kochen, damit ich noch ganz wach werde und merke, dass sich heute Nacht nichts Wesentliches verändert hat.

Achtunddreissigster Tag, 5. Dezember 2020

«Guet», «guet», «guet», «es bizzeli meh nach rächts, – guet», «guet», «no en Meter ... guet» «stopp – sehr guet!» Mit diesen motivierenden Worten wies gestern ein Bauarbeiter seinen Kollegen in einem grossen Lastwagen mit Anhänger, rückwärts in eine sehr sehr enge Einfahrt. Wenn einer innert zwei Minuten sechs Mal ein «guet» bekommt und am Schluss mit einem «sehr guet» bestätigt wird, dann hat er an seiner Arbeit Spass – nehme ich zumindest an. Denn so was ist mir weder während meiner Schulzeit noch während meiner Arbeit je passiert.

Ich stelle mir vor, dass hinter mir ein Kollege steht und nach jedem Satz, den ich schreibe, «guet» sagt. Vielleicht korrigiert er mich einmal und sagt: «Mach en Punkt. Käs Komma – guet». Am Schluss lasse ich das Dokument aus meinem Drucker und er meint: «Sehr guet».

Einmal hatte ich in der Schule ein «sehr gut» nach dem Diktat. Richtig stolz war ich jedoch nicht, hatte ich doch das Diktat, das wir zuhause lernen mussten, bereits ins Diktatheft geschrieben und während der Prüfung nur so getan, als würde ich schreiben. Ich hatte trotzdem drei Fehler – für meine Verhältnisse war das aber eben ein «sehr gut».

Heute lasse ich meine Texte korrekturlesen, bevor sie irgendwo erscheinen. Neben den Schreibfehlern kommen nun auch noch die Tippfehler dazu, weil sich mein Klavier (Tastatur) auf dem Pult verschiebt und ich oft daneben haue. Und dann wird aus einem Tippfehler ein Zoppfehler – und das eben ist dann nicht sehr gut, sondern knapp genügend. An dieses Wort habe ich mich schon während meiner Schulzeit gewöhnt.

Je älter ich werde, desto mehr schätze ich das Imperfekte. Nicht das Imperfekt – das ist so eine grammatikalische Regel, die ich nie richtig begriffen habe und sie trotzdem anwende. Wenn Sie mich jetzt noch nachdem Plusquamperfekt fragen, empfehle ich Ihnen, in Zukunft meine Einträge nicht mehr zu lesen, denn sie würden Ihren Ansprüchen nicht genügen.

Siebenunddreissigster Tag, 4. Dezember 2020

Im Alter nehmen auch die Freunde ab. Falsch – die meisten haben zugenommen. Im Alter nimmt die Anzahl der Freunde ab. So ist’s korrekt. Einige sind schon von uns gegangen, teilweise erlösend, teilweise auf himmeltraurige Art. Es ist erschreckend, wie lange das Bild des letzten Treffens im Gedächtnis haften bleibt. Dafür hätte man doch so viele erfreuliche Erinnerungen, die man abrufen könnte ...

Mit den Freunden ist es wie mit den Küchengewürzen. Als ich meine erste eigene Bleibe bezog – es war ein Zimmer mit Klappbett, einer eigenen kleinen Küche und einem Bad auf der Etage – kaufte ich in der Migros von Anis bis Zimt so ziemlich alle Gewürze, die im Angebot standen und war stolz auf meine vermeintlichen Kochkünste. Während andere mit Feriendias und Markensammlungen brillierten, zeigte ich den mir Verehrten den Gewürzschrank. So quasi von süss bis bitterscharf war bei mir alles im Repertoire. Heute koche ich nur noch mit Salz, Pfeffer, Paprika, Sojasauce und Aromat. Und als kleiner Exot steht noch eine Flasche Angostura im Gestell.

Ich hatte viele Freunde, oder nannte sie zumindest so, weil ich jene Sachen mit ihnen durchleben durfte. Geblieben sind eine Handvoll wirklicher Freunde und zwei neue sind dazugekommen. Ehrliche Freunde sind eigentlich das Wertvollste was du haben kannst; Freunde, die dich nicht bewerten sondern wertschätzen.

Viele alte Freunde sind heute Kollegen und ich freue mich sehr, sie gelegentlich zu treffen und zu tratschen. Aber sie nachts um 3 Uhr anzurufen, würde ich nie wagen.

Und das Interesse an meinem Gewürzschrank ist doch heute eher marginal.

Sechsunddreissigster Tag, 3. Dezember 2020

Was ist eigentlich die Adventszeit? Wer hat die erfunden – irgend ein Kerzenzieher oder ein Kranzbinder? Seit ich klein war – und sehr wahrscheinlich schon viel länger – feiert man Advent. Ich könnte jetzt auf Internet googeln. Mach ich aber nicht, ich lasse da lieber meiner Fantasie freien Lauf.

Die Maria war ja schwanger (wie das funktioniert hat, weiss ja wirklich niemand genau, es gab damals noch keine DNA-Tests) und Jesus muss eine Frühgeburt gewesen sein. Wir Christen zählen ja die Jahre ab Christi Geburt. Warum hat man aber erst 7 Tage später mit Zählen angefangen? Ich staune sowieso immer, wenn Archäologen etwas entdecken und das auf eine Zeit, z.B. 1653 Jahr vor Christus, datieren. Wie wussten die damals, dass es noch 1653 Jahre dauern sollte bis dieser Messias den Stern von Bethlehem entdecken würde. Was wiederum beweisst, dass er in der Nacht geboren wurde. Aber eben 7 Nächte zu früh. Man kann eigentlich sagen, dass da die heilige Schrift ziemlich ungenau ist. Würde ich bei meinen Textaufträgen so arbeiten, hätte ich schon lange keine Jobs mehr.

Vielleicht hatten Maria und Josef so einen Kranz mit zufällig 4 Kerzen. Eine für Maria, eine für den Josef, eine für den Ochsen und eine für den Esel. Und dann, als Jesus geboren wurde, war es eben zu dunkel und sein Vater (wobei dieser eben nicht genau bekannt ist) hat den Stern von Bethlehem mit einer Fernschaltung angezündet – so wie heute eine Strassenlampe, die in die warme Stube leuchtet. Es kamen dann ja auch viele Besucher und Josef (offiziell nicht der leibliche Vater) musste sich vielleicht vom Stress erholen und hat kurz den Stall verlassen. Worauf ihm Maria nachrief: «Tschau Sepp». Damit wäre wenigstens das mit diesem Kartenspiel erklärt. Aber warum es den Advent gibt, weiss ich nach wie vor nicht.

Fünfunddreissigster Tag, 2. Dezember 2020

Kürzlich haben sie in der Nacht im DAB+-Radio IN-A-GADDA-DA-VIDA von Iron Butterfly (1967) gesendet. Es ist ja selten genug, dass man im Radio ein Stück spielt, das über eine ganze Seite einer LP dauert. (LP heisst Langspielplatte, eine schwarze Vinylscheibe mit einem Loch in der Mitte, die man auf einen Plattenspieler legte und dann mit einem Tonarm die Tonnadel auf die Musikrille legte).

IN-A-GADDA-DA-VIDA war so was wie eine Droge für Weichspüler, die nicht wagten einen echten Joint zu rauchen. Nun, die Wiedergabe im DAB+ ist schon eine Katastrophe für sich. Wie uperisierte Milch oder “echter“ Pesto im Glas von Barilla. Man hört zwar alles, aber eben doch nicht ganz alles. Das ist wie eine alte schwarz/weiss Analogfoto vom letzten Jahrhundert, 4-farbrig aufbereitet auf Photoshop und dann wieder s/w ausgedruckt.

Ich habe mich auf jeden Fall wahnsinnig gefreut, diesen Song, den ich als Teenager sicher 1000 mal (sehr zum Ärger meines Vaters) rauf- und runterspielte, auf einem Sender im Radio zu hören. Die LP selber habe ich schon lange nicht mehr. Aber leider war es nicht das Original im Radio. Das Original hatte nur ich und da war nach ca. 3 Minuten (so genau kann ich es nicht mehr sagen) ein kleiner Kratzer, so ein Kchhh. Das fehlte im Radio. Und IN-A-GADDA-DA-VIDA ohne dieses Kchhh nach ca. 3 Minuten ist eben nicht das Original. Basta.

Normalerweise lasse ich meine Texte korrigieren. Das macht Sinn. Manchmal sind sie dadurch zwar verständlicher aber eben nicht mehr das Original. Dieser Text wird nicht korrigiert!

Vierunddreissigster Tag, 1. Dezember 2020

Dank Onlinekonsum, verstärkt durch unser einsames Verhalten während der Coronakrise, verschaffen wir uns vermehrt Einblicke statt Überblicke. Alles, was wir wissen wollen oder meinen, es wissen zu müssen, googeln wir kurz. Wir werden je länger je mehr zu Meinungsautisten. Das Meinungs-Asperger-Syndrom hält je länger je mehr Einzug in unsere Gehirne. Wir interessieren uns nur noch für das, was uns (vermeintlich) wirklich interessiert.

Das Ganze hat jedoch nicht allein mit dem Corona zu tun. Schon vorher sassen viele Leute im Bahnabteil oder auf der Parkbank mit diesen Ohrstöpseln in den Lauschern und starrten auf ihre Handys. Die Welt bleibt aussen vor. Wir haben uns gewöhnt, uns auf uns zu fokussieren, und das ist, langfristig gesehen, ein Armutszeugnis. Der Anfang des Untergangs unserer vielschichtigen Kultur.

Wie viel haben wir doch profitiert von Dingen, die wir per Zufall aufgeschnappt haben. Ich kann behaupten, dass ich auf meinen Schulwegen, zuerst zu Fuss und dann in der Forchbahn, mehr fürs Leben gelernt habe, als in der Schule. Viel später, als Dozent in der Erwachsenenbildung, merkte ich rasch, dass die Teilnehmenden (so mussten wir unsere Lernenden nennen) in den Pausen den Stoff weiterdiskutierten und ihre eigenen Inputs dazu gaben. Meine Seminarstunden waren eigentlich nur noch Gebrauchsanweisungen.

Ich habe mich (solange das möglich war) in den Beizen immer an grosse Tische gesetzt und dadurch Dinge mitbekommen, die mich eigentlich gar nichts angingen. In der Fussballgarderobe wurde selten über Fussball geredet, sondern dieser und jener erzählte Erlebnisse aus dem Tag oder seinem Job, der mit meinem gar nichts zu tun hatte. Unsere Kunden brieften uns nicht per Mail sondern im persönlichen Gespräch. Dabei entstand oft der entscheidende Input aus einer Zwischenbemerkung, die nirgends notiert war.

Zugegeben, es gibt viel Blabla und ich trage durch meine Art auch dazu bei. Aber dieses Blabla hat auch seine Qualitäten – es ist eine Saftwiese und nicht ein gepflegtes Green auf dem Golfplatz. Aber Golf bleibt ein elitärer Sport und Onlinewissen ein Hole-in-Brain.

Dreiunddreissigster Tag, 30. November 2020

Ich mache mich dünn. Ganz dünn. Halte den Atem an und ziehe meinen Bauch ein. Noch ein bisschen und noch ein bisschen. Und noch einen kleinen Ruck. Geht nicht! Geht doch! Den Kopf bringe ich ganz knapp, aber nicht ohne Schramme durch. Jetzt noch das andere Bein. So: geschafft!

Aber wie komme ich wieder zurück?

Zweiunddreissigster Tag, 29. November 2020

Gestern habe ich in der Migros Witikon 8 Stück Cipollatas mit Auslaufhaltung gekauft. Kein Witz: Auslaufhaltung; Élevage en plein air; Allevamento all’aperto. Mehrsprachige Cipollatas in Auslaufhaltung. Nun, ich habe schon Hühner, Schweine oder Kühe auf freier Wildbahn, respektive in Aussengehägen gesehen. Aber noch nie Cipollatas. Laufen, kriechen oder fliegen die gar?

Bei den Willisauer Ringli, die ich auch gekauft habe, stand nicht auf der Packung, dass sie sich freiwillig geringelt haben oder auch beim Fleischkäse wurde nicht behauptet, dass sich das Fleisch und der Käse aus freien Stücken oder gar aus Liebe vereint haben. Es war eine Zwangsheirat. Nicht so deklariert, aber auch nicht anders. Oder bei einem feinen Camembert: der übernimmt erst, wenn du ihn nicht im Kühlschrank lagerst, eine entsprechende Auslaufhaltung an (und es bizzeli stinke muess’es).

Auf jeden Fall, und da bin ich froh, konnte man die Cipollatas zähmen und gemeinsam in einer Achterpackung einschweissen. Ich weiss jetzt nicht, wenn ich die Packung öffne, ob dann wieder ihr Freiheitsdrang überhand nimmt und sie mir in der Wohnung umherhüpfen. 8 Stück bringe ich nie unter Kontrolle. In Zukunft kaufe ich wieder 1 Bratwurst am Stück, nicht geteilt in 8 Auslaufmodelle; vom Metzger oder noch besser, direkt vom Grill. So quasi: «see me, grill me, eat me».

Einunddreissigster Tag, 28. November 2020

Ein mir wirklich sehr lieber Freund hat mich gestern Abend angerufen. Er möchte unsere allmorgendlichen Spaziergänge momentan auf Eis legen. Seine Angst vor Corona, sich selber oder z.B. mich damit anzustecken, ist bei ihm zu gross. Er sagt, dass er sehr ängstlich ist und hofft, dass ich das verstehe. Ich sei seine einzige Bezugsperson, mit der er regelmässig kommuniziere. Nach unseren Spaziergängen sei er jeweils richtig heiser, weil er es nicht mehr gewohnt ist, so viel zu reden. Er tut mir leid, ich mir auch. Diese Spaziergänge waren jeweils der Grund, warum ich am Morgen aufgestanden bin. Mit ihm konnte ich über Gott reden und über die Welt lachen. Oder auch umgekehrt. Seine Sorgfalt, mit der er Dinge ideell aber auch materiell angeht, beeindruckt mich sehr. Und so geht er auch mit mir um. Er schaut auf unseren Quartierspaziergängen immer, dass wir genug Abstand halten und trotzdem bin ich ihm sehr nahe.

Die Gartenhaggespräche und das Goody für seinen Kläffer werden wir weiterhin praktizieren – aber eben, das ist nicht das Gleiche. Corona hat mich eingeholt. Auf eine Weise, die ich mir so nicht vorgestellt habe.

Dreissigster Tag, 27. November 2020

Hans ist gestorben. Ich darf ihm Hans sagen, seit ich ihm mit 23, das war 1975, in der Malatesta, fast eine geschmiert habe. Hans war mein Primarlehrer von der dritten bis zur sechsten Klasse. Wir hatten so eine Art Hassliebe und ich musste ständig Strafaufgaben schreiben (aber das habe ich schon einmal erwähnt). Wir hatten so unausgesprochene Abmachungen. Eine davon war, dass ich, wenn wir wieder einmal ein Gedicht auswendig lernen mussten, meistens vor der Klasse die erste Strophe rezitieren durfte/musste. Also, habe ich stets nur die erste Strophe auswendig gelernt. Er nahm mich als Beispiel, wie man inbrünstig ein Gedicht aufsagen kann.

Auf das Examen in der sechsten Klasse mussten wir wiederum ein Gedicht lernen, den Orgetorix:

... Und mitten im Ringe flammenden Blicks,
da stand der Häuptling Orgetorix.
und sprach mit beredtem Mund:
»Was weilen wir hier im kargen Tal,
Was bauen wir Hütten auf schwankem Pfahl?
»

Diese Zeilen kann ich heute noch auswendig. Ich war überzeugt, dass ich vor versammelter Elternmenge diese in den Raum schmettern konnte. Weit gefehlt! Diesmal, und das nach drei Jahren Hassliebe, bevorzugte er seine Lieblingsschülerin und forderte mich danach auf, die zweite Strophe zu rezitieren. Ich wusste nicht einmal, ob es überhaupt eine zweite Strophe gab und gibt. Für mich gab’s nur eine Katastrophe. Meine Mutter schämte sich sehr und verliess das Klassenzimmer.

Beim Verabschieden aus dem Schuljahr gab uns der Lehrer allen die Hand und ich sagte zu ihm: «Wenn ich einmal so gross bin wie Sie, dann haue ich Ihnen eine!»

Und tatsächlich, gut zehn Jahre später verirrte sich dieser Lehrer in die Malatesta, meine damalige Stammbeiz. Er trug noch den selben Chlüpplisackmantel wie früher. Ich stand auf, ging zu ihm an die Bar und deutete ihm mit einer Handbewegung an, mein Versprechen einzulösen, was ich aber nicht tat. Darauf sagte er: «Ich habe genau gewusst, dass, wenn ich dich einmal treffe, du mir eine schmieren wirst. Ich bin übrigens der Hans.»

Seitdem trafen wir uns immer wieder per Zufall und tranken oft einen Kaffee zusammen – es entstand so etwas wie eine Freundschaft. Wir begegneten uns auch manchmal in der Buchhandlung Hirslanden bei Eva und Walter. Gestern sagte mir Walter, dass dieser Hans nun gestorben ist. Das tut mir echt leid.

Neunundzwanzigster Tag, 26. November 2020

Im gestrigen Beitrag habe ich ältere Personen als Soll-Posten in der gesellschaftlichen Buchhaltung erwähnt. Dabei weiss ich gar nicht richtig was Soll und Haben eigentlich bedeuten. Zuerst habe ich die Gruppe als Haben-Posten, dann als Soll-Posten und dann wieder als Haben-Posten bezeichnet. Selbst meine Korrektorin, die jeweils die Kommas richtig setzt (mehr oder weniger!), falsch geschriebene Wörter korrigiert, hie und da ganze Sätze umstellt, damit man sie versteht, und mich aufklärt, wann und wann nicht man den Akkusativ einsetzt – an dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön dafür – konnte mir nicht helfen. Sie ist ja schliesslich Korrektorin und nicht Buchhalterin. Würde sie mir als Buchhalterin all ihre Aufwendungen für die Tageseinträge verrechnen, wäre ich schon lange im Soll, oder eher im Haben, weil sie es ja haben soll.

Kurzum, ich habe mich dann auf Wikipedia schlau gemacht: «Die beiden buchhalterischen Begriffe Soll und Haben sind nicht mit den gängigen Verben „sollen“ und „haben“ gleich zu setzen. Sie bezeichnen vielmehr die beiden Seiten der Kontoführung. In der Soll-Haben-Buchführung ist genau festgelegt, welche Einträge im Soll und welche im Haben vorgenommen werden ... Das Soll stellt jeweils das Gegenkonto zum Haben.» Ich habe mich schlussendlich für Soll entschieden. Buchhalter und Banker sollen meine Unsicherheit entschuldigen. Ich glaube kaum, dass alle diese Fachleute, mir das genau erklären könnten. Bankdirektoren sehen diese Begriffe ohnehin in einem völlig anderen Zusammenhang. Sie meinen: «Ich sollte so und soviel Boni haben».

Und ich sollte jetzt aufhören, mich mit Ausdrücken auszudrücken, von denen ich eh keine Ahnung habe. Soll’s gut sein. Habt einen schönen Tag.

PS. Habe gestern in der Rundschau erfahren, in welchen grossen Staats- (SBB, Post etc.) und Faststaatsbetriebe (z.B. SWISS), die während der Krise von uns Steuerzahlern kräftig unterstützt wurden und werden, sich die Chefs Boni auszahlen lassen ... eine Schande!

Achtundzwanzigster (nachdenklicher) Tag, 25. November 2020

Es gibt ein biologisches und ein biografisches Altersempfinden. Solange das einigermassen im Einklang steht, ist dein jetziger Altersstand für dich erklär- und für deine Freunde nachvollziehbar. Älter werden heisst auch langsam biologisch abbauen. Wenn dein Leben für dich einen Sinn hatte, kannst du das problemlos akzeptieren. Es gibt jedoch sehr viele ältere Menschen, die müssen die im Lebenssaft verpassten “Chancen“ noch kompensieren und stören sich an ihren Wehwehchen, der nachlassenden Kondition und Spontanität.

In unserer gewinnorientierten Gesellschaft sind ältere Semester auf der Sollseite. Die Kosmetik- und Pharmaindustrie nutzt das schamlos aus. Im sogenannten Jungbrunnen gären Säfte, Ampullen und Kuren, um die Auswirkungen des biologischen Abbaus zu verzögern. Dafür haben ältere Mitmenschen mit einer “gesunden“ Altersbiografie durchaus ihre wahren Qualitäten, die es für sie selber, aber auch für die Gesellschaft, zu nutzen gäbe. Wir alle könnten aus deren Erfahrungen profitieren. Die florierende Wirtschaft sieht das jedoch anders.

Die Geschichte lehrt uns, dass sich alles wiederholt. Das Gute und das Schlechte. In vielen anderen Kulturen wird das gut genutzt. Die Indianer betrieben einen wahren Alterskult und bei der mexikanischen Landbevölkerung ist das Alter eine Ehre. So bekommt auch das Sterben eine ganz andere Bedeutung. Der Tod ist der Zenit des Daseins. Während wir uns an Allerheiligen und Allerseelen (erster Sonntag im November) auf die Friedhöfe bemühen, freuen sich die Mexikaner, mit ihren Ahnen auf den Grabstätten ein buntes Fest zu feiern. Die Alten sind nicht einfach weg, sondern leben in einer anderen Existenz mit und in ihren Nachfahren weiter.

Für einen gesunden Umgang mit dem Alter stehen sich heute Religionen und Aufklärung im Clinch. Auch das müsste nicht sein. Eine aufgeklärte Religionsgemeinschaft wäre die ideale Voraussetzung mit der Vergänglichkeit der physischen Präsenz, respektvoll, sorgsam und auch in unserem Bewusstsein gewinnbringend umzugehen.

Ich selber bin in dem Alter, wo mich das Nein einer charmanten Frau nicht beleidigen sondern beruhigen würde – eben biologisches und biografisches Alter im Einklang.

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Anmerkung der Redaktion: «... ich liebe dich, alter Mann ...»

Siebenundzwanzigster Tag, 24. November 2020

Man hat es ja offensichtlich verpasst, das Volk auf eine zweite Welle vorzubereiten. Auch wenn man wusste, dass diese kommen wird. Vorbereitung ist alles, sagt man immer. Schon in der Schule mussten wir uns auf das Diktat vorbereiten, denn wir wussten, dass es kommen wird. Ich habe es jeweils trotzdem nicht gemacht und musste nachher meine Eltern auf die Noten vorbereiten, denn ich wusste, dass auch die kommen werden. Und dann wiederum musste ich mich auf eine Ausrede vorbereiten ... eben, vorbereiten ist alles.

Die Coronawelle wird vorbeigehen, aber sind die Leute auch darauf vorbereitet? Was machen die Fussballspieler, wenn sie auf einmal wieder in Sprechgesängen ihre Namen hören? Verstecken sie sich hinter dem Gegner oder verstolpern sie den Ball, weil sie das nicht mehr gewohnt sind und die taktischen Anweisungen des Trainers nicht mehr 1:1 mitbekommen? Was machen die Kellner in den wieder offenen Bistros, wenn sie auf einmal sechs statt zwei Gäste am Tisch bedienen müssen? Wird man das Speise- und Getränkeangebot auf den Karten drastisch reduzieren, damit die Gäste sich nur für A oder B entscheiden können und der Kellner nicht überfordert wird, weil er eben auf diese Situation – sechs Gäste, sechs verschiedene Getränke und eines erst noch mit Assugrin statt mit Zucker – nicht vorbereitet ist? Was machen die telegeilen Politiker, wenn sie nicht mehr tagtäglich vor die Kamera stehen dürfen, sondern wieder arbeiten müssten? Was machen die Chefs, wenn sie auf einmal wieder Face-to-Face ihren Mitarbeitenden gegenüberstehen und nicht mehr mit einem versabberten T-Shirt nasebohrend vor dem Homecomputer sitzen? Was machen die Grosseltern, wenn sie auf einmal von fünf statt von drei Enkeln besucht werden und die Partner ihrer Kinder zum ersten Mal ohne Maske sehen? Was machen die Chefchirurgen, wenn ihre Patienten merken, dass es eigentlich auch ohne Operation ganz gut geht? Was mache ich, wenn ich im direkten Kontakt merke, dass meine Geschichten eigentlich gar niemanden interessieren?

Es wird schwierig, verdammt schwierig und wir werden sagen: darauf sind wir jetzt nicht vorbereitet.

Sechsundzwanzigster Tag, 23. November 2020

Man konnte es in den letzten Monaten nicht übersehen. Ich weiss ganz genau, wie ein Corona-Virus aussieht, obwohl es sich von Sendestation zu Sendestation im TV immer etwas mutiert. Ich weiss auch wie ein schwarzes Loch aussieht (siehe Beitrag “Einundzwanzigster Tag, 18. November 2020“), und dass es nicht explodiert sondern implodiert. Und wer nicht weiss, was eine Implosion ist, dem empfehle ich folgendes Experiment: Gib jemandem der dir sehr lieb ist einen innigen Zungenkuss und niesse dabei. Nicht sehr anständig und angenehm, aber lehrreich. Vielleicht war es der letzte Zungenkuss, aber auf was verzichtet man nicht alles für die Wissenschaft.

Also, ich weiss oberflächlich ziemlich viel (oder eigentlich gar nichts) über den Mikro- und den Markokosmos – das, was man halt so mitbekommt. Was ich nicht weiss, und das ärgert mich schon lange, ist, wie ein Vitamin aussieht? Ich habe in einem Röhrchen so Multivitamin-Brausetabletten, die zwar nichts nützen aber so schön im Glas sprudeln. Ich habe auch einen Fadenzähler. Das ist so eine Superlupe, mit der man die Fäden in einem Gewebe zählen kann oder Fehler bei unsauberen Drucksachen entdeckt.

Kurzum: Ich habe so eine orange Vitamintablette unter dieser Lupe betrachtet und nichts entdeckt. Dann habe ich mit einem Kaffeelöffel die Tablette in einem sauberen Teller zerdrückt und auch nichts entdeckt. Eine zweite Tablette habe ich im Mixer zu Feinstaub verarbeitet und ausser feinem orangefarbenem Staub auch nichts entdeckt. Wie bringen die Chemiker diese künstlichen Vitamine in diese Tablette? Ist das gar eine Mogelpackung?

Ich habe auch eine Kiwi und eine Zitrone genauestens untersucht. Auch da nicht die Spur von einem Vitamin. Gibt es gar keine Vitamine? Ist das so eine überlieferte Sage wie die Madonna von Lourdes? Schauen Sie ruhig im Internet. Sie werden nie entdecken, wie ein Vitamin aussieht oder wie die Madonna von Lourdes ausgesehen hat. Trotzdem pilgern Abertausende nach Frankreich zu dieser Grotte und Abermillionen kaufen diese Röhrchen mit Vitamintabletten.

Fünfundzwanzigster Tag, 22. November 2020

Man soll sich die schlechte Laune nicht verderben lassen. Man sagt endlich Worte, vor denen man sich aus Rücksicht gehütet hat und wirft Dinge in den Abfall, die schon lange dahin gehören. Es ist ein Grundrecht, schlechte Laune zu haben, obwohl dies weder im Völkerrecht noch in den Menschenrechten verankert ist. Ich mag schlecht gelaunte Leute. Sie sind ehrlicher und meistens auch wortkarger. Menschen mit mieser Stimmung nennen die Dinge beim Namen und haben nicht die Tendenz alles gut zu reden.

Oft ist die schlechte Laune eine (Über)reaktion von nicht erfüllten Vorstellungen während der guten Laune. Mir passen Leute, die beim Jassen auf den Tisch klopfen, wenn der Partner den gewünschten Bock nicht ausspielt oder die ausrufen wie ein Wald voller Affen, wenn das berühmte regenbogenfarbige Trüllerchen auf dem Compi nicht aufhört zu drehen. Denn das Trüllerchen ist eigentlich auch ein Ausdruck der schlechten Laune des PC. Kurzum, schlechte Laune bringt auch ein bisschen Farbe in den grauen Alltag.

Vierundzwanzigster Tag, 21. November 2020

«... mein lieber Freund. Entschuldigen Sie bitte die vielen Worte. Ich hatte keine Zeit, mich kurz zu fassen.» Diese Worte – oder so ähnlich — werden wahlweise Johann Wolfgang von Goethe, Georg Christoph Lichtenberg, Jonathan Swift, Blaise Pascal, Heinrich von Kleist, u.a. zugeschrieben.

Wie auch immer: Ich habe Zeit, mich kurz zu fassen: «Mir stinkt’s».

Dreiundzwanzigster Tag, 20. November 2020

Ich bin ein Populärwissenschaftler. Auf meinen morgendlichen Spaziergängen mit einem ehemaligen Buchhändler treffen wir oft einen pensionierten Psychiater auf dem Nachhauseweg von seinen Fitnessbesuchen. Wenn diese beiden ins Gespräch kommen, schweige ich besser. Es reicht eben nicht, wenn man von den Kreuzworträtseln her weiss, dass es einmal einen französischen Schriftsteller gab, der Anet hiess, Pele als einziger Fussballer dreimal Weltmeister geworden ist und der Vulkan in Italien Aetna heisst und dann trotzdem nicht in die Buchstabenfolge passt, weil es der Vesuv war.

Wer mich kennt, weiss, dass Schweigen nicht meine Kernkompetenz ist. Hie und da ist es jedoch für mein Image besser, einfach ruhig zu sein und zu den Diskutierenden ein bisschen Abstand zu halten. Zum Glück haben wir jeweils noch einen Hund dabei, mit dem ich mich während dieser Zeit über Trivialitäten unterhalten kann. Ich kann ihm sagen was ich will, er wedelt immer mit seinem Schwanz und freut sich, dass auch weniger belesene Zeitgenossen wissen, dass Hunde es lieben, hinter der Ohren gekrault zu werden.

Ich denke, Peter, der Buchhändler ist auch froh, manchmal über Eishockey zu plaudern oder über Nachbarn zu lästern (wobei er da zurückhaltender ist als ich). Er freut sich sogar über meine Beiträge in diesem Slowdown Tagebuch. Man weiss ja auch von Frédy Girardet, dem vielleicht besten Koch, der jemals in der Schweiz den Kochlöffel schwang, dass er es liebte, herzhaft in einen Cervelat zu beissen.

Zweiundzwanzigster Tag, 19. November 2020

Meistens ist es der Hochzeitstag, der dich daran erinnert, dass du ja verheiratet bist. Und wenn du dich nicht dran erinnerst ist es zumindest deine Frau, die dich auf mehr oder weniger originelle Weise darauf aufmerksam macht. Nun, ich muss dazu sagen, meine Frau Barbara und ich sind da sehr emanzipiert – wir vergessen ihn beide.

Bei mir sind es vielmehr die Nierensteine. Während die meisten Ehepaare die Hochzeitsnacht mit dem Ausschlafen des Rausches oder mit dem Versuch einer besonders ausgefallenen Kopulation verbringen, plagten mich nach der Hochzeitsfeier in Flims unsägliche Bauchschmerzen. Ich musste um drei Uhr in der Nacht zu einem Notfallarzt, welcher nicht gerade begeistert war, mich zu empfangen. Nach einer kurzen Anamnese gab er mir eine Packung Antibiotika und meinte, ich solle am nächsten Morgen in ein Spital. Dort entdeckte man per MRI meine Nierensteine und empfahl mir, bei Attacken rumzuhüpfen. Was dann die Steinchen auch tatsächlich löste.

Offenbar ist mir nach der Feier ein Stein vom Herzen gefallen, dass alles so gut geklappt hat und dass Barbara mich tatsächlich geheiratet hat, jedoch ist dieser erlösende Stein in der Niere steckengeblieben.

Warum ich das erzähle? Heute Nacht wurde ich wieder an meine Hochzeitsnacht erinnert und ich bin momentan daran rumzuhüpfen. Nicht aus purer Freude, dass dieser Beitrag jetzt auch geschrieben ist, sondern in der Hoffnung, keinen steinigen Tag zu erleben.

Einundzwanzigster Tag, 18. November 2020

Vielleicht werde ich für den Nobelpreis nominiert. Ich habe ein schwarzes Loch entdeckt und kann es sogar nachweisen. Gestern als ich meine Schuhe auszog, erstreckte es sich quer über die Ferse meiner linken Socke. Ich habe es subito dokumentiert und als schwarzes Selfie auf Instagram gestellt. Bisher hat sich jedoch noch niemand aus Oslo gemeldet.

Es ist so ein Problem mit den Socken. Nie geht ein Paar gleichzeitig kaputt oder verschwindet in der Waschmaschine. Da ich nur schwarze Socken trage, ist es jedoch nicht so tragisch; ich verkupple die übriggebliebene Socke mit einem Single eines anderen Paars. Da sind dann alle wieder glücklich.

Wie machen es aber die Clowns und die Paradeplatzstrolche, die meinen ihre geringelten, gepunkteten oder mit Schmetterlingen verzierten Socken seien der neue Hype? Es ist ungefähr gleichermassen peinlich wie seinerzeit die Mickey Mouse Krawatten oder die Hosenträger mit Pinup Girls drauf. Wenn eine Socke in ihrer Flexibiltät nachlässt und Löcher sich auftun, kann man beide Socken wegwerfen – und billig sind diese Modeaccessoires ja nicht.

Ich hätte da eine Marketingidee. Man könnt diese geschmacklosen Socken nicht als Paar sondern als Trio verkaufen. Gibt eine Socke den Geist auf (wobei viel Geist steckt ja nicht dahinter) hat man eine Ersatzsocke. Die Tragedauer würde sich um 50 Prozent verlängern. Wenn man das schlau macht (ich denke jedoch nicht, dass Männer, die solche Socken an ihren Füssen zur Schau stellen, besonders schlau sind ...) kann man die drei Socken alternativ wechseln. Rechne: Drei Socken durch zwei Füsse. Um die Weihnachtszeit kann man erst noch die dritte Socke an den Kaminsims hängen, damit der Santa Claus – ein echter Samichlaus würde ja nie auf diesen Trick reinfallen – Süssigkeiten reinfüllen kann. Es kommt ja jeder Unsinn aus Amerika früher oder später zu uns. So auch der Black Friday, wo sich die Leute in den Läden die Sachen aus den Händen reissen oder die Pöstler doppelt so viele Pakete austragen müssen. Nur, am Black Friday gibt es eben nur Black Socks, sonst würde er Curled up Friday heissen.

Zwanzigster Tag, 17. November 2020

Ich hätte da eine gute Geschichte. Aber ich erzähle sie nicht. Sie gehört nicht mir sondern einem guten Freund. Der heisst zwar auch Peter, was aber mit der Sache nichts zu tun hat. Und ich will mich nicht mit Missgeschicken anderer schmücken. Darum erzähle ich diese Geschichte nicht.

Nur soviel: Am Schluss hatte er sich seinen Zeigefinger blutig geschunden. Die zur Verfügung gestandenen Lumpen reichten nicht, um die schmutzigen Wasserlachen auf dem Küchenboden aufzuwischen, und es dauerte über eine Stunde bis der Siphon wieder einigermassen richtig montiert war. Aber eben, es ist seine Geschichte und wird es auch bleiben. Wäre ja Verrat, wenn ich jetzt Vertrautheiten einfach so weitergeben würde. Dafür ist mir seine Freundschaft viel zu wertvoll.

Neunzehnter Tag, 16. November 2020

Mein Fiebermesser hat schlapp gemacht. Ich habe ihn wohl bei meiner familien-vorbelasteten Hypochondrie in den letzten 9 Monaten überstrapaziert. Soweit kein Problem. Ich bin in der komfortablen Lage, mir eine neue Batterie zu kaufen und einzusetzen. Auch dann wird er hoffentlich nach wie vor bei den Messungen zwischen 35,7 bis 36,4 Grad aufzeichnen. Nicht wie meine Personenwaage, die je länger je mehr übertreibt. Dabei habe ich auch hier zwei Qualitätsbatterien ersetzt. Seither funktioniert sie wie der SMI, je schlechter es mir (konditionell) geht, desto höher schnellt der Index in die Höhe. Trotzdem investiert keiner in mein Gewicht.

Gut, meine Personenwaage hat auch nicht so eine Plattform wie der SMI zur besten Sendezeit vor der Tagesschau, wo alle Möchtegerninvestoren staunen können, wie sich die Wirtschaft in den letzten 24 Stunden entwickelt hat und sie eigentlich schon wieder zu spät dran sind.

Ich stelle mir vor, dass eine Ernährungsexpertin und ein Produktemanager von Nestlé die neusten Trends ansagen (auch ohne dass die dann wirklich eingehalten werden) und die Gewichtsinvestoren versuchen zu reagieren. Der Kluge setzt natürlich nicht nur auf eine einzelne Waage, sondern auf einen Gewichtsfond. Je mehr amerikanische Waagen involviert wären, desto höher sind die Gewinnaussichten. Wobei bei den Amis weiss man ja gemäss dem (noch) amtierenden Präsidenten, dass mindestens 70% Fake News sind. Also eine Investition in das Körpergewicht mit Schwergewicht amerikanischer Werte, birgt auch seine Risiken.

Irgendwann wird es in der Schweiz eine Volksinitiative geben, die es der Nationalbank, den Pensionskassen und der AHV verbietet, in Personenwaagen zu investieren, die jährlich mehr als 5% Zuwachs anzeigen. Wobei gerade diese wären die interessanten Anlagen, denn übergewichtige Personen haben laut WHO eine weniger hohe Lebenserwartung und würden dadurch AHV und Pensionskassen entlasten. Das ist vielleicht auch der Grund, warum Trump (selber ein guter Gewichtsinvestor) mit “seinem“ Land aus der WHO ausgestiegen ist.

Achtzehnter Tag, 15. November 2020

Ich war katholisch. Nicht übertrieben, aber immerhin. Als Bub habe ich es bis zum Ministranten geschafft. Die Karriere nahm jedoch ein jähes Ende, als ich bei der heiligen Wandlung die Glocke so heftig und lange geschüttelt hatte, dass die Leute meinten in Zollikerberg sei ein Feuer ausgebrochen. Der Hund des Pfarrers fing in der Sakristei an zu bellen, dass der Pfarrer ihn während der Messe beruhigen musste. Als er wieder zurückkam (der Pfarrer, nicht der Hund) klingelte ich noch einmal, damit die Gläubigen wussten, dass die Zeremonie weitergeht. Bei der anschliessenden Kommunion hätte ich nochmals klingeln sollen. Der Pfarrer hat mich aber so strafend angeschaut, dass ich nicht mehr wagte diese Glocke in die Hände zu nehmen Das Ganze war sowieso unbequem, wir Ministranten mussten während der ganzen Eucharistie (das ist der Teil wo die von Nonnen hergestellten Oblaten in den Leib Christi verwandelt und dann verspeist werden) auf dem harten Steinboden knien. Kurzum, ich war meinen Job los, dabei wollte ich dem lieben Gott nur zeigen, dass ich mich lautstark für ihn einsetze.

Heute Sonntag ist es wieder soweit. Gut 60 Jahre nach meiner Premiere in einem Gotteshaus, habe ich wieder einen Auftritt. Diesmal in einer reformierten Kirche. Da ist alles nicht so heilig. Ich glaube auch, dass der liebe Gott sich hier wohler fühlt – es ist für ihn so eine Art Ferienresidenz. Ernsthaft aber nicht so pompös. Ich darf den Beamer bedienen, während von der Empore die Organistin und zwei Opernsängerinnen (Sopran und Mezzosopran) Auszüge aus dem G.F. Händel Messias Oratorium singen und spielen.

Wer jetzt meint, ich habe einen einfachen Job, der täuscht sich. Am Computer kann man in der Nervosität viele falsche Tasten drücken. Wenn da auf der grossen Wand anstelle der schönen Bilder von Lisbeth Granacher der Wetterbericht oder der Kassenstand der Kollekte erscheint, habe ich einmal mehr in einem Gotteshaus versagt. Ich nehme mich, soweit es geht, zurück und will nur der Sache dienen. Zudem ist der Pfarrer ein guter Freund von mir. Was die Computerbedienung angeht auf Augenhöhe, was den Bezug zur höheren Theologie betrifft jedoch viel viel näher bei seinem Gott, der sich aber vielleicht noch an meinen Auftritt 1962 in der katholischen Kirche erinnert und froh ist, dass ein fast verlorenes Schäfchen, zumindest für einen Sonntag zurück in seinen Stall gefunden hat.

Siebzehnter Tag, 14. November 2020

Was ich an den Holländern besonders mag: Die Leute haben keine Vorhänge. Was ich an mir ab gestern weniger schätze: Ich habe Vorhänge. Und zwar hochqualitative, von ganz oben an der Decke bis ganz unten an den Boden, perfekt auf meine grosszügigen Fensterfronten zugeschnitten. Wie Immobilienhaie jeweils ihre Wohnungen anpreisen: lichtdurchflutet. Heute Morgen war mein Zuhause nach fünf Jahren zum ersten Mal nicht lichtdurchflutet sondern in dezentem Schummerlicht, welches durch die licht- aber nicht sichtdurchlässigen Vorhänge schien: “Holz isch heimelig“, Vorhänge sind “züschbig“.

“Züschbig“ ist ein wunderbares Wort, findet man jedoch weder im Duden noch im Idiotikon (Schweizerdeutsches Wörterbuch). Es beschreibt ein Gefühl zwischen wohnlich, bieder und angebracht. Schön, dass es einen Begriff gibt, den es im Internet nicht gibt. Ich wohne in einem Gartengeschoss, vis-à-vis von Schrebergrärten an einem kleinen namenlosen Kiesweg. Auch das schätze ich – ein offizieller Kiesweg, der zwar auf der Karte eingezeichnet ist, aber keinen Namen trägt. Ich habe einmal aus Spass Namensschilder mit dem Aufdruck “Schiiswegli“ montiert, weil der Weg ein sehr beliebter Spazierpfad für Hündeler ist. Das passte jedoch einem züschbigen Witikoner nicht und er/sie entfernte diese Namensschilder bereits gleichentags.

Also kurzum: Ich wohne demzufolge in einer züschbigen Wohnung mit Vorhängen an einem züschbigen, sauberen Weg ohne Namen. Das alles ist mir einwenig zu züschbig. Also nehme ich die Vorhänge wieder ab und gewähre den Spaziergängern Einblick in mein Zuhause. Denn die Wohnung an sich ist alles andere als züschbig – einwenig chaotisch und lichtdurchflutet, wie mein Gemüt. Vorhang auf, respektive Vorhang weg für ein offenes Dasein. Aber vielleicht meine ich das nur und im Innersten bin ich auch ganz schön züschbig.

Sechzehnter Tag, 13. November 2020

Mal dieses, mal jenes. Wobei jenes eher im Vordergrund steht, darf man dieses auch nicht vernachlässigen. Wie soll man auch wissen, dass dieses jenes schon lange überholt hat. Sehr zum Wohlgefallen dieser Jenen, die es jenen Diesen schon lange heimzahlen wollten.

Fünfzehnter Tag, 12. November 2020

Ich lese und höre immer wieder, dass eines der entscheidenden Symptome bei Corona-Infektionen das Fehlen des Geschmacksinns ist. Wer das bei sich feststellt, Alter egal, darf/muss sich unbedingt testen lassen. Erst noch gratis – das BAG übernimmt die Kosten. Wir wissen ja nicht, wie lange das Virus schon in unserer Gesellschaft steckt. Entdeckt haben es die Wissenschaftler so Ende 2019. Aber vielleicht haben es schon viele mit sich rumgetragen, ohne es zu wissen und ohne andere zu schützen.

Ich denke da speziell an Architekten. Was da in den letzten Jahren an Geschmacklosigkeiten aufgestellt wurde, ist pandemieverdächtig. Dabei haben sie natürlich auch ihre Bauherrschaften mit angesteckt. Ein ganz typisches Beispiel sind diese immer mehr aufkommenden, eigentlich parallel zur Steigerung der Infektionszahlen, ins Blech gestanzten oder gelaserten Balkonabdeckungen.

Vielleicht müsste man den Ursprung der Ansteckung bei diesen Architekten suchen und dann schauen, mit wem sie in Kontakt standen. Übrigens, wer in einer Mietwohnung mit einem solchen Geländer wohnt, ist nicht unbedingt auch angesteckt. Im Gegensatz zu Stockwerkeigentümern, die mit dieser Geschmacklosigkeit einverstanden waren, und sich also bereits vor dem Einzug in die neuen vier Wände infiziert haben könnten, ohne es zu wissen.

In Zukunft werde ich also in der Nähe dieser Gebäude immer eine Maske tragen – gerade bei uns in Witikon, aber auch im Zürcher Seefeld hat es verschiedene Neubauten der erwähnten Klasse. Man weiss ja aus der Kriminalistik, dass sich Täter immer wieder an den Tatort zurückschleichen.

Vierzehnter Tag, 11. November 2020

«Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf». Nun ganz ehrlich, mir hat er noch nie was gegeben. Vielleicht hie und da einen Wadenkrampf oder eine nervende Stubenfliege, die mich nicht schlafen lässt. Aber vielleicht habe ich auch den falschen Herrn oder eben gar keinen, denn eigentlich pflege ich nicht mit Herren zu schlafen. Wenn, dann eher mit Damen. Aber auch die haben mir eher den Schlaf geraubt (teilweise auf sehr angenehme Art) statt geschenkt.

Nun kommt ja die Zeit wieder, wo man sich “was“ schenkt. Aber was? Das Schenken aus Tradition versuche ich wenn immer möglich, zu vermeiden. Sowohl als Schenker wie auch als Beschenkter.

Gestern erhielt ich eine Mail mit dem Titel «Wir haben für Sie das passende Weihnachtsgeschenk». Und dann kommt eine Bilderstrecke mit Sachen, die ich weder brauche, noch jemals schenken werde: 42-teiliges Schraubenschlüsselset, Lichterkette mit blinkenden LED-Leuchten, tanzender Samichlaus, sechsfach verstellbare Duschbrause mit Discolicht (kein Witz!), ganz persönliche Visitenkarten mit Goldrand und nach vielen anderen “originellen“ Dingen einen Zapfenzieher mit Linksdrehung für Linkshänder. «Denn auch Linkshänder sind Menschen, die gerne einen guten Tropfen geniessen.»

Dieser Tropfen an Vorschlägen brachte dann mein Fass zum Überlaufen. Ich möchte diesem Werbertexter am liebsten eine links und rechts an die Watsche hauen – da bin ich nämlich Doppelhänder und ich habe, dank einem Geschenk meiner Autoversicherung, zusätzlich eine Rechtsschutzversicherung. Das heisst, ich müsste mit der rechten Hand schlagen– es ist ja eine Rechts- und keine Linksschutzversicherung – und das im Auto. Was wiederum problematisch wäre, weil ich ja höchstwahrscheinlich am Steuer sitze und dadurch mit der rechten Hand zuwenig Anlauf nehmen könnte. Dies zum Thema “sinnvolle Geschenke”.

Dreizehnter Tag, 10. November 2020

«Das Horten von Klopapier ist wieder in vollem Gange. Die Lage scheint ernst. Angesichts der Engpässe musste sich jetzt auch die Regierung einschalten. Es gibt kein unbeschränktes Recht auf saugfähiges Papier.» Soviel zu einer Pressemitteilung aus unserem nördlichen Nachbarland.
Wie steht’s bei uns? Gestern, als ich in der Migros einen neuen Messbecher kaufen wollte, waren die WC-Rollen-Gestelle noch voll und ich konnte auch keine Kunden sehen, die sich übertrieben mit dem Papier der vermeintlichen Sauberkeit eindeckten. Reagieren wir – wie leider oft in der Vergangenheit – wieder zu spät oder geht uns das ganze Hin und Her einfach langsam am Arsch vorbei?
Am Abend dann die euphorische Nachricht, dass ein deutsch-amerikanisches Pharma-Konsortium kurz davor steht, ein sehr erfolgversprechendes Impfserum auf den Markt zu bringen. Zusammen mit dem Wahlsiegs Bidens in den USA, liessen diese Meldungen auch ein anderes Papier in die Höhe schnellen. Während Mami Klopapiere hamstert, hamstert Papi Wertpapapiere (diesen Satz möchte ich jetzt absolut geschlechtsneutral verstanden haben!!).
Eigentlich ist es ziemlich egal, ob die Wertpapiere (die auf Rollen und die, die es gar nicht mehr auf Papier, sondern nur noch algorithmisch gibt) in den Wertdepots landen oder runtergespült werden.

Zwölfter Tag, 9. November 2020

Zwölfter Tag, 9. November 2020 Was nützt dir ein Hole-in-one, wenn du alleine auf dem Golfplatz unterwegs warst und keiner es gesehen hat? A) Glaubt es dir keiner und b) feiert keiner mit dir. Gestern hat Barbara mit ihrer Mutter telefoniert, die allein in Oerlikon wohnt. Aufgrund der Pandemie kommen weniger Freunde vorbei und irgendwo in ein Restaurant kann und will sie alleine nicht hingehen. Ihr Aufsteller vom Samstag sei gewesen, als sie von Bidens Sieg erfahren habe. Aber sie hatte keine Gelegenheit dieses Wohlgefühl mit andern zu teilen...

Früher schaute ich die meisten Fussballspiele in der Malatesta – das war eine Beiz mitten im Niederdorf – mit Freund und Feind. Viele Tore haben wir bejubelt, manchen Sieg der falschen Mannschaft im Alkohol ersäuft. Wobei, es gab immer jene und diese und nach der zweiten Flasche spielte es keine Rolle mehr, ob man zum gerechten Sieger oder zum, wegen eines falschen Schirientscheids, ungerechten Verlierer gehörte. Man feierte zusammen. Irgend etwas gab es immer zu feiern oder zu diskutieren. Die Mala war dann irgendeinmal Geschichte, weil der Wirt die eigene Beiz am Spieltisch verjubelt hat.

Später war dann das Wynegg mein Stammlokal. Genau gleich wie die Malatesta und trotzdem so anders. Man ging allein hin und war nie alleine da. Wenn es was zu feiern oder zu trauern gab, traf man sich hier. Wenn es keinen Platz mehr hatte, rutsche man einfach etwas näher zusammen (mach das heute mal!). Das Wynegg gibt es inzwischen auch nicht mehr. Die Wirtin Doris ist unerwartet gestorben und der Seefelder Immobilienhai Ledermann hat sich die Liegenschaft unter den Nagel gerissen, wie auch den Frohsinn und die Seefeldbar / Schwarzer Kater. Heute sind dort schicke Wohnungen.

Es gibt sie noch diese Beizen in den Quartieren, aber es sind Geisterbeizen, weil man nicht mehr zusammensitzt sondern Distanz wahrt oder eben gar nicht mehr hin geht.

Heute setzte ich mich auf mein Sofa und schaue die Champions League im Fernsehen, wenn sie überhaupt übertragen wird. Wenn der Richtige gewinnt, ist es ok, wenn nicht, ist es auch ok. Salzgebers anschliessende Diskussion und Analyse mit Spielexperten interessieren mich einen kalten Hut. Ich möchte selber darüber diskutieren – so wie meine Schwiegermutter über den Sieg Bidens in Amerika.

11. Tag, 8. November 2020

Die soziale Abgeschiedenheit macht selbstgefällig. Durch den persönlichen Kontakt mit Bekannten und Leuten auf der Strasse oder in der Beiz, wird man immer wieder in die Realbeurteilung zurückgestuft, denn die Selbst- und die Fremdwahrnehmung überdecken sich meistens nicht. Die Selbsteinstufung kann schnell mal überborden oder ins grosse Selbstmitleid führen.

Es gibt da ein wissenschaftlich absolut nicht untermauertes Psychologiespiel. Das funktioniert folgendermassen: «Nenne ganz spontan drei Tiere».

Jetzt nicht weiterlesen, sondern mache für dich kurz diese Aufzählung!

Das erste Tier spiegelt jenes wieder, indem du dich siehst. Das zweitgenannte Tier ist jenes, wie dich die anderen sehen. Das dritte Tier ist das, was du effektiv bist.

Ich gebe es nicht gerne zu aber bei mir war es: Löwe, Gorilla, Nilpferd. Und eben, wenn ich mich sozial auf der defizitären Seite bewege, setzt sich schnell mal der Löwe durch. In diesem Sinn, liebes ICH: «gut gebrüllt Löwe!»

Aber wie es uns wirklich in dieser zweiten Welle geht, hat Rainer Maria Rilke 1902 in seinem wunderbaren Gedicht “Der Panther“ beschrieben. Ich möchte das den Lesern, die es noch nicht kennen, nicht vorenthalten. Mit grösster Hochachtung für jemand, der so schön schreiben kann:

Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke, 6.11.1902, Paris

Zehnter Tag, 7. November 2020

Alles hat sein Ablaufdatum: Milchzähne, Nylonstrümpfe, Glühbirnen, Joghurts und viele andere Lebensmittel, Akkus im Compi oder im Natel, die Verliebtheit, Zahnbürsten, künstliche Herzklappen, Kurzarbeitentschädigungen, Autopneus, Schneemänner, Einreichung der Steuererklärung, Warengutscheine, Identitätskarten, Downloads bei wetransfer, Nespressomaschinen, Pandemien, Waffenstillstandsabkommen, Sommerferien an der Adria, Matratzen, Sohlen bei Wanderschuhen, Antibiotika (die schickt man dann nach Afrika!) und die Präsidentschaftsamtszeiten (ausgenommen sind die Türkei, Russland und seit Neustem vielleicht auch die USA).

Es gibt aber auch Dinge, die halten ewig: Vor zig Jahren, seinerzeit, als sehr wahrscheinlich gerade der Liter als solcher normiert wurde, habe ich einen Messbecher mit so verschieden Skalen drauf gekauft oder von einer WG mitgenommen. Mehl, Reis, Zucker und ccm/dl etc. waren darauf skaliert. Seltsamerweise hatte ich noch einen zweiten solchen Becher aus der gleichen Zeit. Ich habe sie ungefähr zehnmal gezügelt und benutzte sie hauptsächlich, um mit dem Stabmixer (auch der hat sein Ablaufdatum) Gemüse zu pürieren. Und ausgerechnet diese Woche, konkret gestern und heute, haben beide Plastikkrüge schlapp gemacht. Bei einem ist der Henkel abgebrochen und hat einen Riss hinterlassen, beim anderen fiel der Boden weg. Mein Vorhaben, gekochtes Gemüse in Suppen zu verwandeln, und etwas für meine Gesundheit zu tun, ist daher fehlgeschlagen. Weil es heute Samstag (zu)viele Leute im Laden hat, kaufe ich mir erst kommende Woche einen neuen Messbecher. Viele Leute denken sowieso, ich kenne kein Mass. Vielleicht haben sie Recht und ich drücke mir heute Abend eine Tiefkühlpizza rein, bevor ihr Genussdatum (wobei diese Bezeichnung masslos übertrieben ist) abläuft.

Auch wir selber haben ein Ablaufdatum. Nur ist uns das nicht auf dem Po markiert. Das ist, glaube ich, besser so.

Neunter Tag, 6. November 2020

Neunter Tag – und ich weiss schon nicht mehr, was ich schreien soll – es sollte schreiben heissen, aber ich habe als freudscher Verschreiber “schreien” geschrieben. Zu schreien hätte ich vieles: «Lasst mich endlich wieder Fussballspielen! Nehmt die verdammten Zwischenwände in der Bodega weg! Kommt bitte wieder auf meine Terrasse oder Wohnung einen Kaffee trinken! Lächelt mir im Tram zu ohne diese verdammte Maske! Lasst uns einen Schieber in der Beiz klopfen! Lasst uns zusammen am Tisch neue Ideen für Werbekonzepte erarbeiten! Umarmt mich (freiwillig!)! Ich will ins Kino, ich will wieder mal in ein Konzert! Ich will wieder normal leben!» Aber was heisst schon normal?

Die alte Normalität wird es nicht mehr geben. Und die neue Normalität müssen wir zuerst entwickeln. Politiker scheinen da nicht das richtige Vorbild zu sein. Das egozentrische, sich auf den Online-Portalen kommunizierte Benehmen setzt sich immer mehr durch. Nicht zuletzt unterstützt durch die Massnahmen der Pandemie.

Facts&Fakes in Kurzform: Langweilige Fotos und Filmchen en masse. Selfies im Badezimmer, beim Pizzaessen oder auf dem Kopf stehend vor dem Eifelturm. Originalität um jeden Preis ... Darum kann man sich auch nicht mehr normal mitteilen: Wenn man erschöpft ist, heisst das Burnout, ein lockeres Zusammentreffen ist ein Megaevent, und wenn man kränkelt, erlebt man ein Nahtoderlebnis. Man hat keinen Respekt mehr vor der Superlative – ist auch nicht nötig, denn die Reaktion findet nicht unmittelbar mit einer Mimik statt, sondern im postfaktischen Medienzeitalter wiederum online mit vielen Emojis.

So, jetzt habe ich genug rumgeschrien. Ich freue mich, wenn ich wieder normal unter Leuten kommunizieren kann und bis dahin beschränke ich mich auf das Schreiben oder Telefonieren

Achter Tag, the day after, 5. November 2020

Trump hat sich zum Sieg beglückwünscht. Ich kenne das. Wenn unser über 50-jähriger Fussballclub (D.L.N. Frischauf Seefeld) jeweils nur knapp verloren hat, 0:5 oder weniger, fühlten wir uns als Sieger und haben uns entsprechend beim Gegner für das faire Spiel bedankt. Bei höheren Niederlagen werteten wir das Spiel für uns als Unentschieden. Richtig gewonnen haben wir eigentlich nie.

Unsere gefühlten Siege feierten wir jeweils Ende Jahr an unseren legendären Generalversammlungen, wo jeder seinen einzigen im Laufe der Saison angekommen Pass oder seine wenigen Ballberührungen (meistens beim Anstoss in der Feldmitte) noch einmal in schwülstigen Worten würdigen liess. Unser Präsidenten, dem schon lange kein Pass mehr gelungen ist, erwähnt jeweils seinen Kopfball von 1994, der das Tor nur knapp, ca. 2,5 Meter, verpasst hat. Wir hatten zu dieser Zeit auch als einziges Team einen Goalie, der während dem Spiel rauchte. Bei jedem Gegentor zündete er sich einen neuen Glimmstengel an. Irgend einmal sagte er: «Ich muss mit dem Sport aufhören, es ist ungesund.» Er war übrigens der einzige richtige “Profi“ in unserer Mannschaft. Er zeigte uns, wie man mit entsprechender Körperhaltung auch unter der Brause rauchen kann und lehrte uns, dass richtige Fussballer nach der Dusche auf ihre eigenen, am Boden ausgebreiteten Leibchen stehen, während man sich noch eine Zigarette einzog. Nicht irgend eine, sondern eine Gitanes bleu. Das ist heute zum Glück nicht mehr so. Man trägt Addiletten, um sich keinen Fusspilz zu holen.

Dieses Jahr spielten wir keinen einzigen Match gegen einen Gegner. Nur gegen uns selber. Es ist also eines unserer erfolgreichsten sportlichen Jahre überhaupt. Das kann jetzt aber wegen Corona nicht gebührend gefeiert werden. Es wird keine GV geben. Auch unser traditionelles Töggeliturnier, unser Kegelabend und auch das legendäre Eisstockschiessen bleiben dieses Jahr aussen vor. Gerade beim Eisstockschiessen auf dem Dolder hätten wir noch eine Rechnung offen. Parallel zu uns spielte 2019 auf der anderen Bahn die Personalabteilung der CS und die haben uns den Glühwein weggesoffen. Übrigens Eisstockschiessen ist nicht so einfach, wie es aussieht: Man muss sich bewegen.

Siebter Tag, 4. November 2020

Gestern hat mich die Praxisassistentin meines Hausarztes gepiekst. Sie hat mich gefragt, welchen Arm ich mehr brauche und hat dann den anderen genommen, um mir die Nadel der Grippeimpfung in meinen Bizeps zu hauen. Ich wollte wissen, warum diesen Arm? Nun, meinte sie, in ganz wenigen Fällen gebe es kleine Nebenwirkungen, unter anderem ein bisschen Muskelkater. Das “unter anderem“ hat mich vor allem verunsichert.

Nun ja, ich habe bereits in der ersten Nacht alle “kleinen Nebenwirkungen“ gespürt. Vom Muskelkater, über das Ohrensausen, das Zehenrotieren bis hin zum Herzklopfen im Sauseschritt. Normale Menschen lassen das einfach über sich ergehen. Ich habe bereits beim Verlassen der Praxis ein kleines Ziehen im Unterschenkel gespürt und bin dann auch über ein nasses Ahornblatt gestolpert. Beim Drehen des Zündschlüssels im Auto empfand ich eine ungewöhnliche Hitze zwischen Daumen und Zeigefinger und beim Entfernen der Maske entdeckte ich im Rückspiegel einen kleinen roten Fleck auf meiner Nase.

Millionen von Menschen haben heute Nacht bei den amerikanischen Wahlen mitgefiebert – nur ich hatte als grosse Ausnahme kein Fieber. Vielleicht als Folge der Impfung. Eventuell wurde ich gar nicht gegen eine Grippe geimpft, sondern gegen emotionale Reaktionen auf weltbewegende Ereignisse. So werde ich – sofern die Impfung und nicht nur die Nebenwirkungen Wirkung zeigen – mich nicht mehr freuen, wenn Pantuffa – das ist nach Marroni, der durch eine etwas stärkere Impfung uns leider verlassen musste –, mein Lieblingshund, am Morgen an mir hochspringt und ein Goody erbettelt. Oder ich ärgere mich nicht mehr, wenn mein Handy beim Öffnen ein Update verlangt, von dem ich weder weiss, für was es gut ist, noch was ich machen muss. Ich drücke dann einfach auf “später einrichten“. Und vielleicht ist es dann einfach einmal zu spät. Aber ich bin ja geimpft und daher gegen solch digital-emotionale Herausforderungen immun.

Sechster Tag, 3. November 2020

Welch ein wunderschöner Herbsttag war uns gestern beschert. Die Bäume und Sträucher entledigen sich langsam dem Blattgrün und das Laub strahlt in allen erdenklich wunderbaren Farben. Wenn nur die Abende nicht wären. Ich hasse diese Schönwettertage bei denen so zwischen 16 und 17.30 Uhr die Sonne flach in meine Wohnstube, den Arbeitsraum und das Schlafzimmer scheint. Man sieht einfach alles. Alles das, was man am Morgen in der Dämmerung nicht sieht: Die verschmierten grossen Fensterflächen, die nach Spinnfäden aussehenden Staubknäuel in den Winkeln der Decke, die Schlirpen auf dem Parkett, den staubigen Tisch und die fast undurchsichtigen Bildschirme des Compis und des Fernsehers. Auch die schwarzen Tablare sind nicht mehr als solche zu erkennen, sie haben eher so den Anschein als wären sie anthrazit. In meiner Wohnung könnte man gut und gerne eine weitere Folge von Harry Potter drehen: «Harry Potter und der Staub der Genialität». Aber welche Produktionsgesellschaft beschränkt ihren Drehtag auf knappe 1,5 Stunden? Und künstlich gemachter Schmutz kommt mir nicht ins Haus!

Vor Jahren hatte ich jeweils Mittagstisch, wo sich zwischen 8 und 15 Personen bei mir verköstigten. Das Kochen gelang eigentlich immer, das Aufräumen eigentlich nie. Irgendeinmal wurde der selbstreinigende Bachofen erfunden, der es jedoch nie in meine Gefilde schaffte.

Dass es anders geht, beweisen meine Vermieter im oberen Stock. Bei denen sieht die Wohnung wie neu aus. Sie wohnen bereits seit über15 Jahren in dem Haus. Es liegt nicht an den Materialien; ihre Küchenabdeckung und ihre Apparaturen sind die gleichen wie bei mir. Es liegt an mir. Ich wohne erst seit gut 5 Jahren hier. Eine Zeitlang dachte ich immer, wer einen Hund hat, der kann nicht sauber wohnen. Der Hund ist seit gut drei Monaten passé, der Sonneneinfall im Herbst, so ca. um 16.30 Uhr, ist immer noch da.

Schon in der Schulzeit meinte ein Hauswart: «Ja, du bist mir ein sauberes Bürschchen». Ich verstand das als Kompliment. Offenbar zu Unrecht. Mit den Coronamassnahmen fallen meine zeitlich beschränkten, durch den flachen, brutalen Sonneneinfall zutage tretenden Unsauberkeiten nicht so ins Gewicht, es kommt ja niemand zu Besuch – es stört mich nur selber und ganz ehrlich gesagt auch meine liebe Ehefrau, die schlauerweise nicht bei mir wohnt. Sonst sähe es nämlich so aus wie bei denen in der oberen Etage. Ich muss in Zukunft einfach verhindern, dass mein Sonnenschein bei Sonnenschein zwischen 16 und 17.30 Uhr bei mir auftaucht.

Da gibt es doch noch so einen dummen Song aus dem Musical HAIR «Let the sunshine in». Ich überlege mir eine Klage am internationalen Gerichtshof in Strasbourg.

Sei’s drum; inzwischen ist die Sonne hinter dem Üetliberg verschwunden und ich fühle mich in meiner strahlend sauberen Wohnung sichtlich wohl.

Fünfter Tag, 2. November 2020

Ich muss endlich aufhören mit meinen Ressentiments in den Slowdown-Beiträgen gegen Personen, Institutionen oder Produkte, die mir persönlich gar nichts zuleide getan haben. Das meint zumindest mein Freund Peter, mit dem und dessen Kläffer ich fast jeden Morgen einen Spaziergang mache. Aber ich rege mich auf, wenn ich mich nicht mehr aufregen darf!

Andere fressen das in sich hinein oder achten es gar nicht – ich löse meinen Frust (Ressentiment = meine Unterlegenheit und heimlicher Groll, so die Definition laut Duden), indem ich das Zeugs niederschreibe. Ich merke es selber beim in die Tastenhauen, wie mein Anschlag kräftiger wird, wenn ich gewisse Namen beim Namen nenne. Langfristig, und wir wissen ja nicht, wie lange es dauert, leidet meine Tastatur darunter und dann schreibe ich, wie unfähig eine gewisse Firma ist (ich halte mich jetzt mit der Firmenbezeichnung zurück, auch wenn ich in den sauren Apfel beissen muss), einer starken Persönlichkeit (damit meine ich mich), mit ihren Geräten Paroli zu bieten.

Also, ich werde sanft und rege mich nur noch über mich selber auf – auch darüber gäbe es Bände zu schreiben. Heute Montag zum Beispiel ist mir beim Abtrocknen ein Trinkglas zersplittert weil es meinem Druck nicht standgehalten hat. Und dieser Druck entwickelte sich nur, weil mein Geschirrspüler (auch hier nenne ich keinen Namen) nicht fähig ist, trotz All-in-one-Taps (auch hier bitte keine Produktebezeichnung), die Gläser sauber zu waschen und zu trocknen, ohne diese verdammten Kalkflecken zu hinterlassen.

Vielleicht muss ich mal in ein Antidruck-Seminar. Solche Kurse kann man ja dank dem Distanzhalten online buchen – und bei online kann man die Faust in den Bildschirm schlagen, ohne dass dem Gegenüber ein Schaden zugeführt wird. Nicht, dass du jetzt meinst ich hätte ein Ressentiment gegen meinen Bildschirm – ich hasse ihn. So wie meinen Computer, mein Handy und meinen Regenschirm, der sich seit Sonntag (eher Regentag!) nicht mehr schliessen lässt – aber sonst bin ich ganz ein Sanfter und kann kein Wässerchen trüben ... Wässerchen? Wasser? Oh Schreck, das ist jetzt wie ein Codewort!! Das Wasser!!! – ich komme sofort wieder ....
......
Nochmals Glück gehabt, die Wanne war randvoll. Wenn ich da jetzt noch reingestiegen wäre, hätte ich sehrwahrscheinlich das Quartier überflutet.

Vierter Tag, 1. November 2020

In vier Tagen wissen wir mehr. Es ist schon erschreckend, dass ich betreffend den amerikanischen Präsidentschaftswahlen von “wir“ spreche. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben wir uns Schritt für Schritt amerikanisiert, zuerst im Guten und dann immer mehr auch im Zweifelhaften –aber niemand hat wirklich reklamiert. Erst in den letzten vier Jahren haben wir festgestellt, auf was für Seilschaften wir uns da eingelassen haben. Wenn Trump nochmals gewählt wird, fällt für uns Europäer eine Welt zusammen. Denn Trumps Amerika war nicht unser Amerika. Und wenn er nicht gewählt wird, werden wir bis zur Amtsübergabe eine hochbrisante, gefährliche Zeit durchmachen. Hunde, die bellen, beissen nicht – und er hat mein Gott ständig gebellt, gekläfft, geknurrt und gesabbert. Aber ein angeschossener Hund ist äusserst gefährlich. Und vor dem haben “wir“ Angst. Als hätten wir nicht genug andere Sorgen ...

Ich frage mich zum Beispiel, warum mein Geschirrspüler trotz den Taps “all-in-one“ nicht sauber arbeitet? All-in-one bedeutet wohl, dass alle Speisen in einem Teller auch nach dem Spülgang ihre Spuren hinterlassen ... Oder warum jetzt, wo es draussen wieder kälter wird, der Reisverschluss meiner Übergangsjacke – unter dieser Bezeichnung wurde mir der teure schwarze Sack vor drei Jahren verkauft – klemmt. Vielleicht bin ich auch froh, dass ich den Reisverschluss nicht mehr hochziehen kann, denn ich nehme an, dass sich die Jacke ziemlich über meinen Bauch spannen würde. Eben, auch körperformmässig habe ich mich in den letzten Jahren ziemlich amerikanisiert.

Aber vielleicht kommen ja bessere Zeiten auf uns zu. Oder ist es so wie in der Serie Berlin Babylon ...? Dann lohnt es sich wieder einen Reisverschluss zu ersetzen statt eine neue Jacke zu kaufen – und auf einmal passt die Jacke wieder und ich bin froh, überhaupt eine zu haben. Und meinen Blechnapf wasche ich dann in der Gassenküche oder auf einer öffentlichen Toilette am Bahnhof.

Dritter Tag, 31. Oktober 2020

Laut der Zeitung «Züriberg» vom 29. Oktober häufen sich die Einbrüche in dieser Jahreszeit wieder. Stimmt. Bei mir ist zum Beispiel der Enthusiasmus zum Zeitfasten ziemlich eingebrochen. Beim Schweizer Fernsehen bricht das Niveau je länger je mehr ein, obwohl man sich nach Schawinskis Abgang eher eine Erholung erhoffte. Auch die Punktesammlung des FC Zürich bricht unaufhörlich ein. Was lustigerweise nicht einbricht (aber wirklich lustig ist es nicht!), sind die Boni- und Dividendenzahlungen der Grossunternehmen. Während KMU, Selbständigerwerbende und darstellende Künstler über einen Einbruch ihres Umsatzes bis zu 80%, ihres Verdienstes bis zu über 100% klagen, die Zirkusse ihre Zelte ab-, nicht einbrechen müssen, bricht bei unserem Bundesrat Parmelin seine Einstellung überhaupt nicht ein. Ihm und seinesgleichen geht es ja gut. Weil die Reben einen hervorragenden Sommer mit viel Sonnenschien hinter sich haben, wird es dieses Jahr wieder einen Überschuss an Wein geben, dessen Lagerung man mit Subventionen vom Bund und Kanton unterstützt, damit die Erträge der Weinbauern nicht einbrechen. Es ist immer so eine Frage, ob man die schlechte Ernte oder das Einlagern dank guter Ernten subventionieren soll. Parmelin ist übrigens auch Weinbauer und findet da sicher die richtige Antwort – er ist ja für seine Effizienz bekannt.

Auch das Gesundheitswesen bricht eventuell anfangs November ein, wenn sich die Ansteckungen und die damit verbundene Spitaleinweisungen linear weiterentwickeln. Man hätte ja ein halbes Jahr Zeit gehabt, sich auf eine zu erwartende zweite Welle vorzubereiten. Aber eben, wer denkt schon daran, dass der Sommer einmal zu Ende geht und der Einbruch der Dunkelheit sich wieder vorverschiebt.

Also liebe Einbrecher, denkt daran, dass bereits ein grosser Teil des Wohnungsinventars kontaminiert ist. Dass ihr ausser Bargeld, Schmuck und IT-Geräte auch das Virus mitnehmt und eure Aktivität dank schlimmem Krankheitsverlauf auch einbrechen könnte. Ans Maskentragen seid ihr euch ja gewohnt. Ihr könntet ja vielleicht in Zukunft Namensschilder tragen. Wenn ihr jedoch nicht wisst, wie ihr euren Namen korrekt schreibt, kann man das auf der Einwohnerkontrolle nachfragen ... ah, ihr seid ja gar nicht angemeldet ... und wenn alles nicht klappt, gibt’s beim Bund Erwerbsausfallentschädigung – aber für selbständig Einbrechende eben frühestens ab kommenden Februar.

Zweiter Tag, 30. Oktober 2020

Heute feiert Karin einen runden Geburtstag. Eigentlich hat sie sich diesen ganz anders vorgestellt. Sie ist bekannt für ihre grosszügigen Einladungen. Das macht sie aber nicht wegen der Geschenke. Sie gehört zu jenen Personen, die lieber schenken, als beschenkt zu werden. Jedoch ihren Geburtstag vergessen darf man als guter Freund nicht. Man wäre dann subito ein schlechter oder aber gar kein Freund mehr.

Daran gedacht habe ich zumindest, sonst würden diese Zeilen ja nicht hier stehen und irgendwie möchte ich ihr auch etwas schenken: Ein Paar verschlissene Designer-Jeans (so ab 400 Franken aufwärts) vermag ich nicht. Obwohl hinter diesen Jeans von Dolce&Camorra oder Mief Saint Degoutan höchstwahrscheinlich keine Kinderarbeit steckt, weil um so einen Jeansstoff zu zerreissen, braucht es doch ziemlich viel Kraft. Blumen verwelken und Zeugs, das dann einfach herumsteht, ist auch nicht mein Ding. Sie musikalisch zu überraschen, ist in der heutigen digitalen Welt auch nicht mehr möglich und ihr Musikgeschmack entspricht, gelinde gesagt, einem missratenem Burger von McDonalds. Eine Schönheitsoperation, wie in ihren Kreisen üblich, hat sie nicht nötig und läge auch knapp über meinem Budget. Ein Blinddate mit Andreas Gabalier käme bei ihrem Mann (und vielleicht auch bei seinem!?) falsch rüber. Zudem, wenn er (der Gabalier) als Liebhaber so schlecht ist wie seine Texte, würde die Nacht in unguter Erinnerung bleiben. Und heute mit dem Socialdistancing würde das sowieso nicht funktionieren, hauptsächlich nicht grenzüberschreitend.

Ich glaube, ich schenke ihr einfach diese Worte und hoffe sehr, dass wir an ihrem nächsten Geburtstag wieder miteinander (und vielen Andern) auf ihr fröhliches Gemüt, ihre Grosszügigkeit, ihre Fürsorge für ihre Freunde und Hunde anstossen können.

Karin steht zu ihrem Alter im Gegensatz zu einem gemeinsamen Freund, der sich soeben beide Augen wegen dem grauen Star operieren lassen musste und momentan mit Nierensteinen im Spital liegt (auf jeden Fall gute Besserung!). Er fühlt sich nach eigenen Angaben noch immer wie knapp 47. Aber bei ihm ist in den letzten 25 Jahren einfach die Zeit stehen geblieben und dadurch auch die Empfindung zu seinem eigenen Älterwerden. Vielleicht erschrickt er jetzt, wenn er sich am Morgen mit scharfem Blick im Badezimmerspiegel gegenübersteht. Oder er meint, er hätte den Fernseher eingestellt und es laufe «der Alte».

Erster Tag, 29. Oktober 2020

Eigentlich habe ich auf den Lockdown gewartet. Jetzt ist es halt ein Slowdown. Auch gut, respektive auch schlecht. Denn ich will, wie beim ersten Lockdown, die sozial isolierte Zeit wieder mit Tagebucheinträgen überbrücken. Aber irgendwie fehlen mir Hund und Worte.

Der Hund – ich musste ihn inzwischen schweren Herzens einschläfern lassen, er war immerhin 16 Jahre alt – wusste nichts von der Tragik, die uns schon damals beherrschte. Er wedelte mit dem Schwanz, wenn mir nicht ganz unabsichtlich ein Stück Käse vom Tisch fiel und er freute sich, wenn ich allein mit ihm spazieren ging und mich auf ihn konzentrierte. Ich habe ihm auf unseren Streifzügen viele Geschichten erzählt (auch Lügengeschichten) und er hat mir nie widersprochen. Er hat sein und unser Leben nie hinterfragt und gab mir viel Kraft, das alles nicht so ernst zu nehmen. Das ganze Covid-19-Zeugs war ja auch nicht so ernst. Es war da, aber irgendwie auch nicht. Keiner meiner Freunde war im Frühjahr 2020 infiziert und ich habe auch niemanden gekannt, der hospitalisiert wurde oder gar gestorben ist. Ich musste zwar viele soziale Abstriche machen – aber eben, ich hatte Marroni, meinen Hund. Und der fehlt mir nun.

Auch fehlen mir die passenden Worte, um einen neuen Einstieg in diese Tagebucheinträge zu finden. Ich schätze es ja, wenn mich die Leute humorvoll finden – aber ist Humor jetzt noch angesagt, hat eine Brise Selbstironie noch Platz? Und je länger ich hier in die Tasten haue, desto mehr bin ich überzeugt, dass genau Humor und Ironie uns über diese Zeit hinweghelfen. Also bleibe ich dabei. Mein Schwager Dr. André Seidenberg – den Dr. erwähne ich, um seine Kompetenz zu unterstreichen – malte gestern in der NZZ den Teufel an die Wand. Und wenn er noch so recht haben sollte, ich hoffe, er hat es nicht, will ich das gar nicht so genau wissen. Denn es ändert nichts an den Tatsachen.

So werde ich also, dem allgemeinen Trend zu Trotz, den kleinen Unannehmlichkeiten und Missgeschicke Raum und Platz geben und sie in meiner etwas übertriebenen Art kommunizieren. Davon wird die Welt nicht besser – aber eben auch nicht schlechter. Und wer denkt, dass ich ein Ignorant bin, soll meine Texte ignorieren, wie seinerzeit mein Primarlehrer Hans Kauer, der meine Strafaufgaben – und es waren deren viele –immer demonstrativ ungelesen zerriss und in den Papierkorb warf. Hätte er sie gelesen, hätte er gemerkt, was ich damals von ihm gehalten habe, denn ich konnte schon damals nicht auf meinen Mund hocken, habe Sätze in die Texte eingebaut, die ich von irgendeinem Lesebuch abschreiben musste, die ihm mein Gott nicht schmeichelten. Zu seiner Ehrrettung muss ich aber heute gestehen, dass er mich durch meine vorpupertäre Sturm- und Drangzeit gecoacht hat (schönes Wort!) und mich prüfungslos in die Sekundarschule gehievt hat, wo ich dann unter den Fittichen eines der *Moralischen Aufrüstung verpflichteten Lehrers total versagte.

* Die Stiftung Moralische Aufrüstung geht auf eine internationale evangelikale und antikommunistische Bewegung zurück, die während des Kalten Krieges die Schweizer Konservativen prägte. Ihr Hauptsitz ist in Caux (VD).